Krokodil im Nacken
staatsgefährdende Propaganda, öffentliche Herabwürdigung, und was es da noch so alles an Tatbeständen gab, konnten sie ihm unterjubeln. Und das würde dann noch hinzukommen zu all dem anderen. Er musste sich zusammennehmen, dass seine Hände nicht ins Zittern gerieten. »Sie interpretieren sehr frei. Ich würde sagen, ich habe Kritik geübt – und somit als einer, der mal mitarbeiten wollte an seinem Staat, nichts als meine Pflicht getan.«
»Und weshalb haben Sie Ihre ›Kritik‹ dann versteckt?«
»Weil ich kein Idiot bin. Ich weiß doch, dass solche Mitarbeit nicht erwünscht ist. Wollte nicht wegen ein paar frechen Gedanken in den Knast wandern. Aber erklären Sie mir doch mal, wie man mit versteckten Texten jemanden ›aufwiegeln‹ kann. Oder nennen Sie mir jemanden, dem ich diese Texte zu lesen gab.«
»Hat Ihre Frau Ihre Hervorbringungen nicht gelesen?«
»Soll ich jetzt lachen?«
»Wenn Ihnen danach zumute ist – bitte! Der Tatbestand, dass Sie Ihre Texte weiterverbreitet haben, ist damit aber bereits gegeben.«
Im Radio kam das Lied von dem himmelblauen Trabant , der durch das Land fuhr, mitten im Regen.
Knut: »Weshalb haben Sie Ihre ›Kritik‹ denn nicht westlichen Verlagen angeboten? Hat ja so mancher auf diese Weise sein bescheidenes Licht zur Fackel aufgeblasen. Und ein paar Westmark abgesahnt.«
Sollte er darauf antworten, dass ihm diese Art von Texttransfer nicht gefiel? Dass er es beschämend fand, im Osten zu sitzen und im Westen für jeden noch so leisen Zweifel an der sozialistischen Gesellschaft gelobt zu werden? – Nein, damit würde er dem Leutnant nur entgegenkommen: Du gehörst ja doch zu uns, hast dich nur verrannt … »Der eine macht dies, der andere macht das. Wir Menschen sind zum Glück alle sehr unterschiedlich.«
»Glauben Sie denn an das, was Sie da geschrieben haben?«
Lenz bezweifelte, dass es sich lohnte, Knut mit Ehrlichkeit und Moral zu kommen. Trotzdem sagte er: »Wer beim Schreiben lügt, aus welchen Gründen auch immer, ist nicht ernst zu nehmen. Ich darf mich irren, aber in dem Augenblick, in dem ich es niederschreibe, muss ich daran glauben, dass es die Wahrheit ist.«
Da konnte er mal wieder nur den Kopf schütteln, der Knut. »Sie sind vielleicht ein Traumtänzer! Was Sie ›Wahrheit‹ nennen, ist nichts als blanke Hetze in Versform. Die pure Staatsverleumdung! Staatsfeindliche Hetze im verschärften Fall, Paragraph 106, falls Ihnen das was sagt.«
Also doch: Illegaler Grenzübertritt, staatsfeindliche Verbindungsaufnahme, Spionage – nun auch noch staatsfeindliche Hetze im verschärften Fall! Gehörte er, Manfred Lenz, der Großverbrecher, nicht längst erschossen?
»War der Wunsch, schreiben zu wollen, eventuell der wahre Grund für Ihren Fluchtversuch?«
»Nein!« Lenz straffte sich. »Da spielte vieles mit hinein. Aber vielleicht hätte etwas mehr an Meinungsfreiheit uns zurückgehalten.«
Da machte Knut mal wieder sein ehrlich empörtes Gesicht. »Und in der BRD? Was glaubten Sie denn, dort mit Ihrer Schreiberei bewirken zu können? Wollten Sie mit Ihren Texten nur gegen die DDR hetzen – oder sich auch dort drüben einmischen?«
Die Wut in Lenz wuchs. Nun musste er sich mit diesem Stasi-Leutnant auch noch über Literatur unterhalten. »Dreimal dürfen Sie raten.«
»Aber da drüben haben ehrliche Schreiber doch gar keine Chance. Die bürgerliche Kunst ist längst nicht mehr fähig, bedeutende Werke hervorzubringen. Man hält sich für fortschrittlich, wenn man Pornographie produziert, und den wenigen kritischen Autoren bleibt nur, die Wirklichkeit einer verzerrten, sterbenden, bei uns längst überwundenen Lebenswelt wiederzugeben. Unsere Künstler hingegen sind am Aufbau einer wahrhaft neuen, menschenfreundlichen Gesellschaftsordnung beteiligt.«
Knut machte eine Pause, dann dozierte er weiter: »Literatur darf doch nicht nur Amüsement oder Zerstörung sein. Sie soll den Menschen Kraft und Zuversicht vermitteln, sie moralisch stärken, ihr Bewusstsein verändern. Kritische Realisten, wie Sie einer sein wollen, braucht unsere Gesellschaft nicht. Bei uns muss niemand ›angeklagt‹ werden, unsere Gesellschaft entwickelt sich aus sich selbst heraus, unsere Autoren haben ein optimistisches Weltbild. Kritikaster nützen uns nichts. Wir wollen positive Denkprozesse fördern, nicht negative.«
Hatte der Leutnant inzwischen einen Volkshochschulkurs über sozialistisches Schreiben besucht? Oder schrieb er gar selber?
»Sie und
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