Krokodil im Nacken
Omnibusreparaturwerkstatt.
Zwei Namen, zwei Gesichter gingen ihm dabei nicht aus dem Kopf: Ete Kern und Hanne Gottlieb. Was mochte aus den beiden geworden sein? Was wäre aus ihm geworden, wäre er damals mitgegangen?
Eines Abends fuhr er nach Lichtenberg, um Etes Schwester zu besuchen. Ete hatte ihn mal dorthin mitgenommen, er fand das Haus schnell wieder. Etes Schwester jedoch wohnte nicht mehr dort, und die Leute, die er fragte, wussten nicht, wo sie hingezogen war. Er schalt sich einen Narren. Über zehn Jahre waren vergangen, seit Ete und er sich im Treptower Park voneinander verabschiedet hatten, jetzt fiel ihm der Freund auf einmal wieder ein. Was verband sie denn noch miteinander? Ein paar Jugenderinnerungen, weiter nichts. Oder hatten Ete und er in all den Jahren auch nur ein einziges Mal versucht, Kontakt zueinander aufzunehmen?
Eine missglückte Reise in die Vergangenheit. Fast schämte Lenz sich dieses Versuchs eines Brückenschlags zurück in seine Jugend. Dennoch besuchte er nur wenige Tage später Hanne Gottliebs Mutter. Sie wohnte noch in der Berliner Straße, war auch zu Hause, doch sie erkannte ihn nicht und beinahe hätte auch er sie nicht wiedererkannt: Die sich einst so elegant gebende, gut aussehende Frau, der er so gern gegenübergesessen hatte, war alt geworden. Zehn Jahre älter? Mehr, viel mehr! Sie schminkte sich offensichtlich nur noch, um nicht allzu krank, allzu fahl zu erscheinen.
Erst als er sich das zweite Mal vorgestellt und »Hannes Freund von der Insel« hinzugefügt hatte, dämmerte es ihr. Doch blieb sie vorsichtig, öffnete die Tür nicht weiter als einen Spalt. »Ach ja, der Junge, der immer ganz in Schwarz herumlief!«
Er lächelte, nickte und fragte nach Hanne. »Ich wollte mal hören, wie es ihm so geht.«
Misstrauisch blickte sie ihn an. »Nach so vielen Jahren?«
Er wurde verlegen. »Inzwischen ist viel passiert. Hab geheiratet, war bei der Armee, habe studiert, zwei Kinder … Na ja, und von ihm hab ich ja auch nie wieder was gehört.«
»Er hat in seinen Briefen aber immer wieder nach Ihnen gefragt. Hätten Sie sich mal bei mir blicken lassen, hätte ich Ihnen seine Adresse geben können.«
Das war nun schon fast peinlich. »Dann lag’s wohl nur an mir – tut mir Leid! Geht’s ihm denn gut?«
Sie wollte die Tür immer noch nicht weiter öffnen, fragte nur plötzlich mit harter Stimme: »Wozu wollen Sie denn das wissen? Sind Sie inzwischen bei der Stasi?«
Da horchte er auf. Was war denn das? Die Frau, die so sehr an die Ideale ihrer Partei geglaubt hatte, dass sie ihrem Mann nicht nach Amerika folgen wollte, wie feindlich sprach sie auf einmal von der Stasi. »Nein, nein«, antwortete er vorsichtig. »Ich bin beim VEB Haushaltelektrik .« Und musste grinsen: Klang ja sehr zweideutig, was er da eben gesagt hatte; als »Haushaltelektriker« sollten sich die Stasi-Leute hin und wieder ja auch betätigen.
Nun schien er sie an den Jungen von damals zu erinnern. »Das eine schließt das andere leider nicht aus«, gab sie halbwegs versöhnlich zurück.
Seine leise Erwiderung – er stand ja noch immer im Treppenhaus: »In meinem Fall schon, Frau Gottlieb.« Und noch leiser fügte er hinzu: »Zum Spitzel eigne ich mich nicht. Das können Sie mir ruhig glauben.«
»Entschuldigung!« Noch ein prüfender Blick, dann ließ sie ihn ein, und er durfte in dem gleichen Sessel Platz nehmen, in dem er vor über zehn Jahren gesessen hatte, als er von Hannes Flucht erfuhr. Geduldig gab er über sich Auskunft. Von Hannah erzählte er, von Silke und Michael, von seinem beruflichen Werdegang. Sie hörte mit aufmerksamer Miene zu, stellte auch Fragen und war bald überzeugt davon, dass er wohl wirklich nicht gekommen war, um sie auszuhorchen. Also erzählte sie von Hanne.
Er war tatsächlich zu seinem Vater in die USA gegangen, doch schon nach einem halben Jahr enttäuscht zurückgekehrt. Es hatte ihm dort nicht gefallen. Das Leben in Gottes eigenem Land war ihm zu bunt, zu grell, zu kalt, zu sehr ein einziges großes Geschäft. Und auch sein von ihm heiß geliebter Vater entpuppte sich als Enttäuschung. Der unternehmungslustige Architekt gehörte in dieses schnelle, Dollar machende Amerika. Sohn Hans kehrte schon bald zurück, ließ sich in WestBerlin nieder, besuchte eine Journalistenschule und wurde Volontär bei einer Zeitung. Später befasste er sich in seinen Artikeln insbesondere mit dem Leben in der DDR. Das machte ihr, seiner Mutter, das Leben schwer. Zwar schrieb er
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