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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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überflog es rasch: Er, Manfred Lenz, erkläre sich hiermit einverstanden, aus der Staatsbürgerschaft der DDR entlassen zu werden … Einverstanden? Natürlich war er damit »einverstanden«! Froh und glücklich war er, dass es endlich so weit war. Nur: Warum ging das auf einmal so schnell? Kein langes Ins-Gewissen-Reden mehr, keinerlei Vorhaltungen, keine Warnungen vor der kapitalistischen Ellenbogengesellschaft – Sie haben beantragt, wir haben genehmigt!
    »Und was ist mit meiner Frau?« Er hielt das Formular in der Hand, den Füllfederhalter ließ er noch liegen. So eilig hatte er es denn doch nicht. Erst musste er wissen, was für einen Scheck er da einlöste.
    »Die ist ebenfalls hier. Auch ihrem Antrag wurde stattgegeben.«
    Lenz fiel ein Felsen vom Herzen. »Und unsere Kinder?«
    »Das wird noch ein wenig dauern. Da ist noch Behördenkram zu erledigen.« Er hatte noch nicht zu Ende gesprochen, dieser sich so freundlich und höflich gebende Major, da lag das Formular schon wieder auf dem Tisch.
    »Ohne unsere Kinder gehen wir nicht.«
    Der Major, ein sorgfältig frisierter Breitschädel mit tief liegenden Augen, legte die wulstige Stirn in Falten. Diese Reaktion habe er erwartet. Sie sei verständlich, aber leider sehr unvernünftig. »Oder glauben Sie, Sie tun Ihren Kindern einen Gefallen, wenn Sie jetzt nicht ausreisen? Was wollen Sie denn damit erreichen? Wenn Sie jetzt zögern, gehen Sie mit dem nächsten Transport in eine Strafvollzugsanstalt zurück und die ganze Sache wird zurückgestellt. Wie viel haben Sie denn noch? Ein Jahr, zehn Monate? Wollen Sie riskieren, so lange auf die Wiederzusammenführung mit Ihren Kindern warten zu müssen?«
    Wollte er das riskieren? Was wollte er überhaupt? Hajo Hahne und er, sie waren davon ausgegangen, dass Eltern und Kinder zusammen ausreisen durften. Sie hatten sich einfach nichts anderes vorstellen können. Man durfte die unschuldigen Kinder doch nicht härter als ihre »schuldigen« Eltern bestrafen …
    Der Major: »Wenn ich Ihnen etwas raten darf – unterschreiben Sie! Erst in dem Moment, in dem wir Ihre Frau und Sie aus der Staatsbürgerschaft der DDR entlassen, können Sie die Ausreise Ihrer Kinder beantragen.«
    »Haben Sie denn meine Frau schon befragt?«
    »Nein! Aber das wird in wenigen Minuten der Fall sein. Und ich hoffe, dass auch sie vernünftig sein wird. In Ihrer beider Interesse und im Interesse Ihrer Kinder.«
    »Beraten dürfen wir uns vorher nicht?«
    Was für ein Ansinnen! Darauf konnte der Major nur den Kopf schütteln.
    »Und wie lange wird es dauern, bis unsere Kinder uns folgen dürfen?« Lenz musste sich zusammennehmen; er wollte nicht, dass seine Stimme ins Zittern geriet. Mochte dieser Major sich auch verständig geben, er war ein Stasi-Mann, jede Schwäche würde ihn freuen: Sehen Sie, wir haben Sie bis zum Schluss in der Hand. Ohne unsere freundliche Einwilligung geht gar nichts. Nicht mal, wenn Sie schon drüben sind.
    »Jetzt haben wir Ende August, vielleicht wird es schon Ende September oder Anfang Oktober so weit sein. Bis Weihnachten sind sie auf jeden Fall bei Ihnen.«
    Er hatte gefragt und eine Antwort bekommen. Doch konnten Hannah und er sich auf diese Aussage verlassen? Oder gar darauf berufen? Nein! Im Ernstfall bedeuteten diese Worte gar nichts. Der Staat, den sie verlassen wollten, saß am längeren Hebel. Verweigerten sie ihre Zustimmung zur Entlassung aus der Staatsbürgerschaft, fielen sie raus aus dem Verfahren, das nun in Gang gesetzt worden war; alles würde wieder von vorn beginnen. Oder gab es irgendetwas, womit sie die Stasi erpressen konnten? Etwa mit Hungerstreiks, von denen draußen niemand etwas erfuhr?
    Ob es dir passt oder nicht, Manfred Lenz, dieser Stasi-Mann hat Recht. Bleiben ihre Eltern stur, müssen Silke und Micha womöglich noch zwei Jahre auf sie warten – und vielleicht wird Hannah dann als Bestrafung für mangelnde Kooperationsbereitschaft nach Hoheneck verlegt, in diesen alten Frauenknast, über den so viel Entsetzliches berichtet wurde, und du kommst nach Bautzen oder Brandenburg, unter die männlichen Schwerkriminellen. Vom Westen aus kannst du wenigstens nachbohren, einen Rechtsanwalt oder irgendwelche Behörden einschalten …
    Der Major: »Herr Lenz! Sie und Ihre Frau sind doch nicht die Einzigen, die Kinder haben. Unter denen, die mit Ihnen ausreisen werden, sind mehrere Mütter und Väter. Die haben genau das gleiche Problem, müssen uns auch vertrauen. Denken Sie doch mal nach: Was

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