Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
Vom Netzwerk:
hätten wir denn davon, Ihre Kinder länger als unbedingt nötig festzuhalten? Halten Sie uns für solche Unmenschen? Glauben Sie, dass wir uns an Ihren Kindern rächen wollen?«
    Was hätte er darauf antworten sollen? Ja, ich traue Ihnen so was zu? Aber das stimmte ja gar nicht. Sie waren verbohrt, und es mangelte ihnen an Unrechtsbewusstsein, diese Herren Staatsschützer, aber sie waren doch keine Kidnapper. Welchen vernünftigen Grund sollten sie haben, Silke und Micha länger als unbedingt nötig festzuhalten?
    Stumm griff Lenz nach dem Papier und unterschrieb.
    Der Major machte ein Gesicht, als wollte er ihn zu seinem Entschluss beglückwünschen, verkniff es sich aber, fragte nur noch, wen Lenz mit der Auflösung seiner Wohnung beauftragen wolle.
    »Vielleicht macht es mein Bruder.«
    Der Major suchte in der Akte Roberts Namen und Anschrift, fand sie und nickte zufrieden. »Haben Sie noch Fragen?«
    Lenz hatte nur noch eine einzige Frage: Wann denn nun endlich ihre Ausreise erfolgen werde?
    »Übermorgen. Morgen bekommen Sie Ihre Effekten ausgehändigt, es werden noch ein paar Fotos gemacht und Papiere ausgefertigt, übermorgen geht es los.«
    Lenz verabschiedete sich nicht. Er nickte nur still vor sich hin und wurde vom herbeigeorderten Läufer in die Zelle zurückgeführt.
    Dettmers lag auf seiner Pritsche und strahlte. Auch er war inzwischen geholt worden. Er hatte sich das Papier, das er unterschreiben sollte, nur kurz angesehen, dann hatte er seinen Wilhelm darunter gesetzt. »Fünf Minuten hat sie nur gedauert, die ganze Sache! Oder besser: Ein Jahr und fünf Minuten. Aber was juckt mich jetzt noch dieses eine Jahr, wo doch ein ganzes Leben lang die schöne weite Welt auf mich wartet?«
    Lenz berichtete von seinem Gespräch mit dem Major, von seinem Zögern und dass er letztendlich doch unterschrieben hatte. Dettmers bestärkte ihn in seiner Meinung, richtig gehandelt zu haben. »Auch deine Hannah wird nichts anderes tun können. Solange sie die Kinder haben, bleibt euch ja gar nichts anderes übrig, als Wohlverhalten zu zeigen. Die unsichtbare Leine, an der sie uns führen, wird zwar länger sein, aber eine Leine bleibt es deshalb doch.«
    Er hatte Recht: Solange die Stasi ihre Kinder als Geiseln hatte, waren sie erpressbar. »Aber weshalb sagst du ›uns‹?«
    Dettmers hatte den bösen Unterton in Lenz’ Stimme herausgehört. Er richtete sich auf, um ihn zu besänftigen. »Ganz einfach: Ich glaub nicht, dass wir denen ganz und gar entwischen können. Die behalten uns auch drüben im Auge. Außerdem heißt es doch, dass Täter und Opfer für alle Zeit miteinander verbunden bleiben. – Wir werden immer wieder mal unter unserer nicht abreagierten Wut leiden, sie können uns das Verbrechen, das sie an uns begangen haben, nicht verzeihen.«
    Lenz schwieg. Das alles interessierte ihn im Moment nur wenig.
    Dettmers: »Aber natürlich, deine Hannah und du, ihr seid schlimmer dran. Solange sie noch eure Kinder haben, bleibt ihr ganz und gar in ihrer Hand. Das ist wie Knast mit freiem Ausgang.«
    »Hör auf! Dieser Ofen wärmt nicht.«
    »Sorry! Aber willst du etwa auch von mir belogen werden?«
    In der Nacht lag Lenz lange wach und dachte an Micha und Silke. Also würden sie ihre Eltern doch noch nicht zurückbekommen … Womit sollte er sich nun Mut machen? Mit den Worten dieses Majors? Vielleicht dauerte es ja wirklich nur noch einen Monat, bis sie sich wiederhatten … Was machte das im Rückblick schon für einen Unterschied, zwölf Monate oder dreizehn? Aber wenn es nun doch Weihnachten würde? Das wären dann schon vier Monate … Und was würden das für Monate werden! Nichts als warten, bangen, hoffen … Nein, so hatte er sich ihre Ausreise nicht vorgestellt; vielleicht erwartete Hannah und ihn erst jetzt die wirkliche Prüfung, war alles andere nur so eine Art Vorspiel …
    Als er dann doch endlich eingeschlafen war, schreckte er schon nach kurzer Zeit wieder hoch: Was, wenn der Major ihn angelogen hatte und Hannah nicht mit ausreisen durfte? Er musste sich selbst gut zureden, dass ein solcher Trick ja gar keinen Sinn machte. Er war es doch gewesen, um den sie gekämpft hatten; die ehemalige Bundesbürgerin Hannah hatten sie von vornherein als verloren angesehen.
    Sie wurden noch einmal fotografiert – düster wirkende Gangsterfotos für den Entlassungsschein; sie mussten sich ihrer Häftlingskleidung entledigen – einfach alles auf den Fußboden fallen lassen, damit sie keine Gelegenheit hatten,

Weitere Kostenlose Bücher