Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
Vom Netzwerk:
Tonband mitlief? Zeigte er sich beeindruckt von der Fürsorge seines Betriebes und ließ er sich auch nur halbherzig oder spielerisch auf eine Debatte über seine mögliche Wiedereingliederung in den sozialistischen Arbeitsprozess ein, dann gefährdete er womöglich ihre Ausreise.
    Die Kowalek gab die Mütterliche, schien aber zu glauben, was sie sagte. »Sie gehören doch zu uns, Kollege Lenz. Wir lassen Sie nicht im Stich. Nach Ihrer Entlassung aus der Haft wartet ein Arbeitsplatz auf Sie. Natürlich erhalten Sie nicht Ihre alte Funktion zurück; Sie werden einsehen, dass das nicht möglich ist. Später jedoch, wenn Sie sich bewährt haben, stehen Ihnen alle Türen offen.«
    Fahrland: »Wir leben in einem sehr menschlichen System, Kollege Lenz. Wir wollen helfen, nicht vernichten.«
    Lenz versuchte, sich in ein herzhaftes Lachen zu retten. »Ja, das habe ich inzwischen kennen gelernt – Ihr menschliches System!« Aber dann packte ihn doch die Wut. »Ich weiß gar nicht, was Sie von mir wollen. Meine Frau und ich, wir haben längst unsere Ausreise in die Bundesrepublik beantragt. Sie können unbesorgt sein, meine Zukunft ist gesichert.«
    Die beiden blickten den Leutnant an. Gab es denn so etwas, im Gefängnis sitzend die Ausreise in die BRD beantragen? Doch offenbar wollten sie nicht uninformiert erscheinen, deshalb baten sie Lenz, sich das Ganze noch einmal zu überlegen. Die kapitalistische Ellenbogengesellschaft … Und hier habe er doch seine Kollegen, die ihn bräuchten. Fahrland: »Kollege Lenz! In unserer Gesellschaft wird einer, der mal versagt hat, nicht verstoßen. Vertrauen Sie uns!«
    Worte, die Lenz noch mehr aufbrachten. »Meine Frau und ich haben nicht versagt. Im Gegenteil, wir haben endlich zu uns selbst gefunden.«
    Sie starrten ihn an, als wäre er nicht mehr ganz richtig im Kopf. »Aber Kollege Lenz …« Und dann redeten sie weiter auf ihn ein, wollten nicht so einfach aufgeben. Vielleicht würde der Leutnant ja auch über sie berichten. Sie redeten und redeten, und Lenz widersprach, bis es ihm reichte. Er blickte den Leutnant an, der die ganze Zeit über ein eher unbeteiligtes Gesicht gemacht hatte. »Hab noch viel zu tun, können wir das nicht abkürzen?«
    »Ein Rausschmiss!« Fahrland lachte ärgerlich, schien aber nicht unfroh zu sein, diese unangenehme Mission hinter sich zu haben, auch wenn sie nicht den gewünschten Erfolg gebracht hatte. Mit einem zögerlichen Händedruck verabschiedete er sich von Lenz.
    Auch die Kowalek gab Lenz die Hand, hielt sie einen Augenblick lang fest und sah ihn dabei voller Unverständnis an: Wie konnte dieser Manfred Lenz nur dermaßen blind in sein Unglück laufen? Was war da schief gelaufen? Kein Zweifel: Der junge Mann in den Häftlingskleidern tat ihr Leid.
    Neue Grübeleien setzten Lenz zu. Dieser Besuch, was hatte er zu bedeuten? War er auf Initiative der Kaderabteilung zustande gekommen – oder steckte die Stasi dahinter? Wenn ja, was erhoffte sie sich davon? War man einfach nicht bereit, ihn abzuschreiben, nur weil man auf die Kinder – die Zukunft des Staates! – nicht verzichten wollte?
    Ängste, die schwer auszuhalten waren, die aber nur noch zwei Tage andauern sollten.
    Ironischerweise begann der Tag der Erlösung mit Baltzer, dem heimlichen SS-Mann. Der fette Kerl, der wusste, wie sehr Lenz darunter litt, mit ihm zusammenarbeiten zu müssen, kam in Lenz’ Bude, verlangte mürrisch einen neuen Arbeitsauftrag und verschwand wieder. Lenz jedoch, zuvor auf einer seiner Traumreisen mit Hannah und den Kindern – die neue Wohnung, die von Hannah und ihm schön eingerichteten Kinderzimmer –, fand nicht wieder in die gewünschte Stimmung zurück. Baltzers Anwesenheit hatte alles Träumerische in ihm verdrängt. Wie widerlich, mit solchen Typen in einen Topf geworfen zu werden! Wie pervers, dass jeder einzelne Anhänger der alten Diktatur den neuen Diktatoren als Alibi für ihre eigenen Unterdrückungsmaßnahmen diente! Um seinem Frust zu entfliehen, begab er sich auf Wanderschaft. Das hatte er in letzter Zeit oft getan. Stets gab er vor, in der Werkzeugmacherei nachschauen zu müssen, wie weit die von ihm in Auftrag gegebenen Werkzeugteile waren, um gegebenenfalls Druck ausüben zu können. Die Werkzeugmacher waren eine lustige Truppe, lachten viel und munterten auch den trübsinnigsten Besucher auf.
    An diesem Tag wurde das Ausbleiben neuester Gerüchte diskutiert: War das nicht seltsam, seit knapp zwei Wochen war die Gerüchteküche kalt

Weitere Kostenlose Bücher