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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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sie ja im Hauptberuf Geschäftsfrau und nicht von der Heilsarmee war. Einige »sture Hunde« jedoch kamen immer wieder. Bis es unter den Nazis plötzlich keine Obdachlosen mehr gab und ins Reich heimgeholte Österreicher, Polen, Tschechen, Ungarn und Rumänen in der Palme einquartiert wurden. Doch die blieben nicht lange, wurden bald »gebraucht« und im Krieg zogen Flüchtlinge, Ausgebombte und Seuchenkranke in die Palme .
    Manni war von alldem nur erzählt worden. Dass er dennoch so vieles, was sich vor seiner Geburt um und im Ersten Ehestandsschoppen abgespielt hatte, wie miterlebt vor sich sah, hatte mit seiner Phantasie zu tun. Er war ein Tagträumer, konnte sich alles vorstellen und liebte es, im Kopf auf die Reise zu gehen. In seinen Tagträumen machte er es sich oft schön, flog er auf dem Rücken eines Wunderpferdes in ferne Länder, waren sein Bruder Wolfgang und er die tollsten Fußballspieler der ganzen Stadt, wohnten die Mutter, Tante Lucie, Robert, Wolfgang und er in einem wunderschönen Haus mit herrlichem Garten, erfand er sich eine glückliche Welt mit freundlichen Leuten. Die nächtlichen Träume hingegen, über die er keine Gewalt hatte, ängstigten ihn. Da wälzten sich alle paar Nächte von den Fenstern her weiche, aufgeplusterte Wände auf ihn zu, die ihn zu ersticken drohten, stürzte er in endlose Abgründe, verfolgten ihn unheimliche grüne Männer durch finstere Straßen.
    Mutters Kneipe passte in Mannis Wunschträume nicht hinein, deshalb mochte er sie nicht. Diese vielen Menschen, die so gern rauchten und tranken und so furchtbar laut waren! Sie lachten laut und stritten laut, schimpften laut und weinten laut. Und als er noch ganz klein war, nahmen sie ihn auf den Arm, hauchten ihn mit ihrem Bier- und Schnapsatem an und redeten wirr auf ihn ein. Und ganz besonders freundliche Gäste gaben ihm Schnapsneigen zu trinken und freuten sich, wenn er davon immer lustiger wurde. Weshalb die nicht ganz so laute Kundschaft tuschelte, dass Lisa Lenz’ Manni bestimmt einmal verblöden würde.
    Manchmal kamen auch Männer in olivgrünen Uniformen in Mutters Kneipe. Sie kamen direkt aus den backsteingelben Häusern gleich gegenüber der Straße und redeten in einer fremden Sprache. Die Mutter nannte sie »Russen«. Saß Manni im Sommer auf den Stufen vor der Ladentür oder im Winter hinter dem kleinen Kanonenofen gleich neben dem Stammtisch, dann packten diese Russen ihn unter den Armen und warfen ihn vor lauter Begeisterung über seine hellen blonden Haare in die Luft. Anfangs lief er jedes Mal fort, wenn er sie kommen sah, später blieb er sitzen. Weshalb sollte er so fröhliche Leute fürchten? Später, als seine Haare längst nicht mehr so blond waren, erfuhr er dann, dass es diese Russen waren, gegen die sein Vater in den Krieg ziehen musste und in deren Land er gefallen war. Da wusste er dann aber auch schon, dass es vor allem die Frauen waren, die sich vor den russischen Soldaten fürchten mussten, und dass in den Kellern der gelben Häuser gleich gegenüber Gefangene hausten; Männer und Frauen, die irgendwer als Nazis denunziert hatte und die von hier aus in irgendwelche Lager oder gleich nach Sibirien transportiert wurden.
    Kamen die Russen zur Mutter, verlangten sie Wodka. Hatte die Mutter keinen, tranken sie auch braunen Schnaps. Einmal jedoch hatte die Mutter überhaupt keinen Schnaps anzubieten, was so kurz nach dem Krieg immer wieder mal vorkam. Da wiesen die fröhlichen Russen mit bösen Gesichtern auf die Flaschen in den wimpelgeschmückten, rotbraun gestrichenen und mit allerlei Weinranken und Frauenbrüsten verzierten Regalaufbauten hinter der Theke. Diese Flaschen waren mit Tee oder Wasser gefüllt; gänzlich leere Flaschen machten sich nicht so gut. Die Mutter wollte den Männern in den Uniformen den Unterschied klar machen, doch entweder verstanden sie sie nicht oder sie glaubten ihr nicht. Wütend stürzten sie hinter die Theke, bedienten sich selbst und spien mit vor Ekel verzogenen Gesichtern gleich wieder aus, was sie getrunken hatten. Fremde Schimpfwörter wurden geschrien und dann demolierten die Männer in den olivgrünen Uniformen voller Lust an ihrer Wut die ganze Kneipe. Tische und Stühle gingen zu Bruch, alle Flaschen wurden aus den Regalen gefegt. Die wenigen anwesenden Gäste suchten panikartig das Weite, er aber, Manni, stand mitten in der Gaststube und staunte über den Zirkus, der da um ihn herum veranstaltet wurde. Die Russen waren seine Freunde, um ihn machten

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