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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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er genannt, dieser »schöne Mann« mit dem glatt nach hinten gestriegelten, ewig nach Pomade duftenden Haar, der es auf irgendeine Weise geschafft hatte, in all den sechs langen Kriegsjahren nie Soldat werden zu müssen. Während der allergrößte Teil der Männer im wehrdienstfähigen Alter irgendwo in den europäischen oder nordafrikanischen Schützengräben lag, um Führer, Volk und Vaterland und vor allem die eigene Haut zu verteidigen, vertrat Bel Ami sie bei ihren Frauen. Schäkerte Bel Ami mit der Mutter, weinte der kleine Manni; der schon ein wenig größere drängte den stets gut gekleideten Mann einfach beiseite. Dem machten diese Eifersuchtsszenen Spaß, immer wieder forderte er Manni heraus, bis der vor Wut schrie und die Mutter ihn mal wieder damit verteidigen musste, dass er ein Kriegskind war.
    Mit in diese Zeit gehörten die Igelitfenster, die kaum Licht in den Ersten Ehestandsschoppen ließen, aber einziger Ersatz für die in den Bombennächten herausgesprungenen Fensterscheiben waren. Aus dem gleichen weißgelben, stinkenden Material waren die Schuhe. Im Winter froren Robert, Wolfgang und Manni darin, ganz egal, wie viele Socken sie übereinander gezogen hatten, im Sommer glitschten sie im eigenen Fußschweiß aus, weil keine Luft in diese Botten drang. Mit in diese Zeit gehörten die Stromsperren, wenn alles bei Kerzenschein in Mutters Kneipe saß, weil den Kraftwerken mal wieder die Kohlen ausgegangen waren, und die drei Jungen ebenfalls bei Kerzenschein essen, waschen, Zähne putzen und aufs Klo gehen mussten. Mit in diese Zeit gehörten die vielen armseligen Schrebergärten, die kurz nach dem Krieg auf dem Nordmarkplatz angelegt worden waren. Auf mit allerlei Schrott eingezäunten Beeten sollten Kürbisse, Gurken, Sonnenblumen, Tomaten, Bohnen, Zuckererbsen, Kohlrabi, Kohl, Rüben, Möhren und Kartoffeln heranwachsen oder waren kleine Tabakplantagen angelegt. Wer kein solches Grundstück besaß, bewirtschaftete einen Dachgarten oder Balkon oder graste die Bahndämme und Friedhöfe ab. Egal, was man fand, Löwenzahn oder andere Kräuter, alles wurde gerupft und zu Suppe verarbeitet.
    Zum Glück war der Stadtbezirk Prenzlauer Berg im Krieg nur wenig zerstört worden. In anderen Stadtteilen sah es schlimmer aus. In der Frankfurter Allee zum Beispiel, wo es Manni und seine Freunde öfter hinzog. Dort waren bis zum Horizont nichts als Ruinen zu sehen. Männer und Frauen mit quietschenden Handwagen oder vollen Rucksäcken, die Kartoffeln oder Holz gehamstert oder Reisig gesammelt hatten, verschwanden in den Kellern der nach Katzenpisse und Mörtelstaub riechenden Ruinen. Auf einigen Trümmerbergen waren mit Blumen geschmückte Kreuze aufgestellt. Also lagen da noch Tote drunter? Ein Gedanke, der die Jungen schaudern ließ.
    Betrachteten sie aber Häuser, die nur zur Hälfte eingestürzt waren, mussten sie oft lachen. Die wie mit einem großen Messer in der Mitte durchgeschnittenen Räume erinnerten an Theaterkulissen; eine Bühne über der anderen. Tapetenbezogene Wände, an denen noch Bilder hingen, Möbel, Küchen- und Badezimmereinrichtungen waren zu sehen. Und fast immer lebten noch Menschen in diesen Wohnungen, bewegten sich wie Schauspieler auf der Bühne. Nie aber hatten Manni und seine Freunde das Glück, mal einen von ihnen auf dem Klo sitzen zu sehen.
    Standen nur noch die Außenmauern, erinnerten die leeren Fensterhöhlen an tote Augen. Blicklos starrten sie auf die Kinder herab. Stiegen Manni und seine Freunde hinein in eine solche Ruine, suchten sie Verwertbares für die Höhle, die sie sich auf dem Ruinengelände zwischen dem Bezirksamt und der russischen Stadtkommandantur gebaut hatten. Dort wuchsen bereits Büsche, Birken, Beifuß, Disteln, Gräser und Moos auf dem Schutt, gab es Vogelnester zu entdecken und war alles voller Insekten. Ein wahres Abenteuerparadies. Sie hatten aus den Ruinen geborgene Matratzen in ihre aus Mauersteinen hochgezogene und mit einem großen Blech abgedeckte Höhle geschleppt und planten jedes Frühjahr, dort auch noch einen Garten anzulegen. Jedes Stück Mobiliar, jede alte Lampe erschien ihnen verwertbar.
    Ihre Mütter schimpften auf das Spielen in den Ruinen, verboten es und erklärten ihnen auch, warum: Weil überall noch Munitionsreste und Sprengkörper herumlagen, die jeden Augenblick in die Luft gehen konnten, und weil noch immer Leichen unter dem Schutt gefunden wurden. Außerdem stürzten oft Mauern ein. Manni und seinen Freunden rieselte es kalt

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