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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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Pferdefuhrwerke oder marschierten Demonstrationszüge vorüber; immer in Richtung Lustgarten. Junge Männer und Frauen in blauen Hemden, am linken Ärmel das Abzeichen mit der aufgehenden Sonne und den drei Buchstaben FDJ, hielten Friedenstauben, rote Fahnen, Leisten mit Pappbildern von bärtigen Männern oder Transparente mit fordernden Losungen in den Händen. Sie winkten mit Fähnchen oder roten Papiernelken, riefen Parolen, ließen Fanfaren und Schalmeien erklingen und sangen hoffnungsvolle Lieder.
    Manni und seine Freunde gaben sich jedes Mal alle Mühe, eine Papiernelke zu erjagen. Und stets schauten sie dem Zug nach, bis er ihren Blicken entschwunden war.
    Gleich gegenüber von Mutters Eckkneipe, auf der anderen Seite der Prenzlauer Allee, erstreckte sich eine weitläufige Grünanlage – der Nordmarkplatz. Links davon lagen mehrere gelbe Backsteingebäude – die russische Stadtkommandantur. Nur wenige Schritte weiter: das Bezirksamt! Wiederum ein gelber Backsteinkomplex mit vielen vom Krieg nur wenig beschädigten Gebäuden, dazu ein Ruinengelände, das den Kindern des Viertels als Abenteuerspielplatz diente.
    Zum Bezirksamt gehörte auch das Standesamt, das Mutters ersten Mann, der die Kneipe an der Prenzlauer Allee in der Hoffnung auf eine glückliche Zukunft einst pachtete, auf die Idee brachte, sie mit Bier, Schnaps und Bockwürsten Z um Ersten Ehestandsschoppen zu taufen. Doch nur selten verlief sich eines der frisch getrauten Ehepaare samt Gefolge vor Lisa Lenz’ Theke. Die Kundschaft kam aus der Gegend: kleine Gewerbetreibende, Nachkriegsschieber, Nachbarn, auch mal zwei oder drei Trümmerfrauen, die ihre trockenen Brote mit Sprudel besser hinunterbekamen; Frauen, die Trainingshosen unter ihren Röcken und Kleidern trugen, sich mit Kopftüchern gegen den Staub schützten und oft die ihnen viel zu weiten Joppen ihrer im Krieg gefallenen Männer abtrugen; Frauen, die immer grau aussahen. Manni beobachtete sie oft bei der Arbeit, sah zu, wie sie mit krummen Rücken die Spitzhacken schwangen oder mit spitzen Hämmern die aus dem Schutt geklaubten und in langen Reihen von einer Frau zur anderen weitergereichten Mauersteine vom Mörtel befreiten und aufstapelten. Nicht mehr verwendbare Steine und aller übrige Schutt wurden in Kipploren geschaufelt, die von kleinen Lokomotiven durch die ganze Stadt gezogen wurden. Bis hin zum Friedrichshain, wo ein riesiger Schuttberg entstand; der Mont Klamott, wie die Leute sagten.
    Auch diese Trümmerbahn war interessant. Wie ein Spinnennetz zogen ihre Gleise sich durch die Stadt, überall hörten Manni und seine Freunde das gellende Pfeifen der kleinen Loks, und auf den Straßen und Plätzen stießen sie immer wieder auf rot umrandete weiße Blechdreiecke mit draufgemalter schwarzer Lokomotive, die einen unbeschränkten Bahnübergang ankündigten. An den Kreuzungen schwenkten Frauen rote Fähnchen, um vor dem herannahenden Zug zu warnen; kam eine Weiche, sprang der Heizer aus der Lok, flitzte voraus und stellte den Hebel um. Nur der Lokführer blieb an Bord. Wie ein Kapitän. Doch scheuchte er die Kinder von den Schienen, war er kein Kapitän, dann schimpfte und drohte er wie ein Schulhausmeister.
    Arbeiteten die Frauen nicht, gehörten die Loren den Kindern. Sie krochen hinein, kippten einander aus oder schoben sich gegenseitig über die Gleise. Dabei verunglückte immer wieder mal ein Junge oder Mädchen, weshalb diese Spiele streng untersagt waren. Was sie aber erst recht spannend machte.
    Hinter dem Bezirksamt lagen rechts der Fuhrpark der Straßenreinigung und links, im Schatten eines riesigen Gasometers, das Stadtkrankenhaus: ein hohes, lang gestrecktes, rotes Backsteingebäude, das vor dem Krieg als Obdachlosenasyl zu trauriger Berühmtheit gelangt war. Die Palme war es genannt worden, weil im Eingangsbereich eine Topfpalme die heruntergekommenen Gestalten begrüßte, die Abend für Abend auf ein trockenes, warmes Plätzchen hofften. Stets kam ein großer Teil von ihnen vergeblich durch die ganze Stadt gewandert; selbst das größte Asyl konnte nicht all diese in Not geratenen Männer und Frauen aufnehmen. Wer Glück hatte und hineingelangte, bekam einen Teller Suppe und ein Stück Brot. Von den Abgewiesenen aber trieb es so manchen in den Ersten Ehestandsschoppen , weil die Mutter anfangs den Fehler gemacht hatte, dem einen oder der anderen aus Mitleid ein Bier zu spendieren. Sie hatte es bald wieder sein lassen, weil zu viel Elend ihr die Gäste vergraulte und

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