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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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sie einen Bogen, also würden sie auch seiner Mutter nichts tun. Denn das würden sie ja wohl wissen: Wer seiner Mutter etwas antat, tat ihm etwas zuleide.
    Die Russen griffen auch tatsächlich niemanden an. Sie wollten nur zerstören, irgendeinen Zorn loswerden, der sich schon zu lange in ihnen angestaut hatte. Zum Schluss ging die Mutter einfach dazwischen und schimpfte sie aus, als wären sie nur unartige Kinder.
    Die Gäste empfanden Manni als unfreundliches Kind. Er sehe sie an, als seien sie unwillkommen, beschwerten sie sich bei der Mutter und hatten damit nicht Unrecht. Bereits der Säugling drehte jedes Mal den Kopf weg, wenn einer von ihnen an seinen Wagen trat, schon der Zweijährige betrachtete alle Fremden nur mit unwirschem Gesichtsausdruck. Die Mutter verteidigte ihn damit, dass er nun mal ein Kriegskind sei. Wie hätten denn mitten im Krieg freundliche Kinder zur Welt kommen sollen?
    Manni war im September 1943 zur Welt gekommen; zwei Monate später hatten die großen, verheerenden Luftangriffe begonnen. Am Ende des Krieges war er erst anderthalb Jahre alt und so konnte er sich später an diese Zeit nicht erinnern. Doch natürlich hatten ihn diese ersten Monate seines Lebens geprägt. Wie sollte er denn nicht den schrillen Schrei der Frau Leberecht gehört haben, die ein halbes Jahr nach seiner Geburt im dritten Stock aus dem Fenster gesprungen und nur wenige Meter von seinem Bett entfernt aufs Straßenpflaster geschlagen war? Erst war ihr Mann gefallen, nun auch der Sohn; das hatte die magere, stets traurig blickende Frau, die sich so oft über seinen Kinderwagen gebeugt haben soll, nicht ausgehalten. Die Mutter, so hieß es, sei in jener Nacht in sein Zimmer gekommen und da habe er wach gelegen und sie mit großen Augen angeschaut.
    Vielleicht hatte er aber auch die Ängste der kleinen Frau Rosenzweig gespürt, die Nacht für Nacht an ihrer Wohnungstür vorüber in den Keller geschlichen war, um ihrem genauso kleinen jüdischen Mann, dem Schneidermeister Max Rosenzweig, Essen hinunterzubringen und die Nachttöpfe auszutauschen. Zwar lebten die Schneidersleute in »privilegierter Mischehe«, als Schutz jedoch empfanden sie das nicht. Gab es nicht andere, denen alle »Privilegien« nichts genutzt hatten? Maxe Rosenzweig wollte kein Risiko eingehen, und hätte im Nachhinein etwa wer sagen wollen, er hätte übervorsichtig gehandelt?
    Niemand wusste von dem kleinen Schneidermeister hinter den Kohlen, dem Holz und all dem Kellergerümpel; der kleine Manni in seinem Kinderbett direkt über dem Hauskeller aber hatte es vielleicht geahnt. Ganz bestimmt jedoch hatte er das Geheul der Alarmsirenen mitbekommen, das die Menschen zwei-, dreimal am Tag und genauso oft in der Nacht in die Luftschutzkeller trieb. Auch die panikartige Furcht, die die Mutter und Tante Lucie jedes Mal ergriff, wenn sie mit Robert und Wolfgang an der Hand und ihm auf dem Arm zum Luftschutzkeller ins Bezirksamt hinüberliefen, weil sie dem Hauskeller nicht trauten, konnte ihm nicht verborgen geblieben sein. Genauso wenig wie das Gehetze und Gekeuche der Menschen, die ebenfalls dort Zuflucht suchten. Wer zu spät kam, erhielt keinen Einlass mehr, weil der in der Gegend als einigermaßen sicher geltende Keller dann überfüllt war von dem Klappstuhlgeschwader, das auch aus weiter entfernten Straßen herbeigelaufen war. Wem das passierte, der musste wieder zurückhasten, in den ungeliebten Hauskeller, während es über seinem Kopf vielleicht schon pfiff, dröhnte und krachte.
    Später die tagelangen Straßenkämpfe, all die Schüsse und Schreie, die von der Straße in den Keller hinunterdrangen, in den die Menschen sich auch jetzt wieder geflüchtet hatten; wie sollte das alles spurlos an dem Anderthalbjährigen vorübergegangen sein?
    Die meisten Gäste verstanden Mannis Ablehnung nicht und wollten sie nicht hinnehmen. Weil kein Mann im Haus war, versuchten sie, ihn zu erziehen. Das Ergebnis war, dass er all diese Stammtischler, von denen die Kriegerwitwe Lisa Lenz sich einige nur mit Macht vom Halse halten konnte, bald immer weniger mochte und es lieber gesehen hätte, wenn sie nicht mehr gekommen wären. Die Mutter tadelte ihn dafür: »Als Wirtin bist du Apothekerin, lebst von den Krankheiten der Leute, also musst du wenigstens freundlich zu ihnen sein.«
    Einer dieser Männer, zu denen die Mutter freundlich sein musste, der stets hohe Rechnungen hinterlassende Textilvertreter Benno Huschke, wurde Mannis Lieblingsfeind. Bel Ami wurde

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