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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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über den Rücken, dachten sie an die Warnungen ihrer Mütter, die Ruinen aber hatten eine magnetische Anziehungskraft. Immer wieder galt es, neue, geheimnisvolle Kellergänge zu entdecken, und es machte so viel Spaß, in ihrer selbst gebauten Höhle zu hocken und kleine, mit trockenem Laub gefüllte Tabakspfeifen zu schmoken.
    Einmal allerdings wurden sie dabei aufgestört. Ein russischer Wachposten kam und legte die Waffe auf sie an. Sie waren nicht dumm, wussten, dass der »Iwan« nur Spaß machte, aber was für ein Vergnügen war es, angstgehetzt davonzulaufen und danach noch tagelang von diesem glücklich überstandenen, lebensgefährlichen Abenteuer zu schwärmen.
    Mannis reiche Phantasie sorgte dafür, dass er auch ansonsten kein Held war. Im Gegenteil, solange er noch nicht zur Schule ging, fürchtete er so ziemlich alles, was er sich nicht erklären konnte, was unangenehm aussah oder stank. Das begann schon mit dem riesigen Keller unter dem Ersten Ehestandsschoppen , der aus drei großen hintereinander liegenden Räumen bestand. Hob man hinter der Theke die Luke hoch, gelangte man über eine steile Stiege in den »ersten Keller«. Dort standen Unmengen von spinnwebenüberzogenen leeren Schnaps-, Wein- und Bierflaschen und in einer riesigen Holzkiste lagerten die Einkellerungskartoffeln. Weißlich gelbe Finger wuchsen aus ihnen wie aus einem Grab empor. Schickte die Mutter Manni Kartoffeln holen, wehrte er sich dagegen: »Im Keller stinkt’s nach Rattenscheiße.« Die Mutter schimpfte dann: »Bist doch ein Junge!«
    Der Raum dahinter war der Bierkeller. In dem roch es sehr säuerlich, denn hier standen die Bier- und Sprudelfässer, die bei jeder neuen Lieferung durch die eiserne Luke von der Straße aus an langen Seilen mit Haken dran über ein schiefes Brett in die Kellerräume hinabgelassen wurden. Unten landeten sie auf einem mit Sand gefüllten Sack. Brachten die sehr großen und kräftigen Bierkutscher in ihren weißen Jacken, den messingbeschilderten Schultheiß -Mützen auf dem Kopf und den Lederschürzen vor den zumeist mächtigen Bäuchen eine neue Lieferung, mussten die Fässer an die Zapfanlage gerollt werden. Eine Aufgabe, die Manni gern übernahm. Nur aufrichten konnte er die schweren Holzfässer nicht, das mussten die großen Brüder oder die Mutter besorgen.
    Bevor sie dann zur nächsten Kneipe fuhren, tranken die Bierkutscher erst noch ein von der Mutter spendiertes Bier und unterhielten sich mit ihr. Über die Zeiten redeten sie, über die nächste Lieferung, über Mutters Aussichten, ihr Kriegerwitwendasein bald an den nächsten besten Nagel zu hängen, was die Mutter aber, wie sie immer wieder lachend bekundete, so schnell gar nicht wollte.
    Sie scherzten gern, diese Männer, und die Mutter scherzte mit. Manni besuchte währenddessen ihre Gäule, große, schwere, mit Messingketten geschmückte und mit ledernen Scheuklappen versehene Hannoveraner, die entweder gerade getränkt wurden oder ihren Fressgummieimer umgehängt hatten. Sie ließen sich von ihm die Nüstern kraulen, und er war stolz auf sich, weil er überzeugt davon war, dass sie ihn mochten.
    Der dritte Keller war für Holz und Kohlen. Beides mussten Lisa Lenz’ Söhne, wenn es durch die Luke angeliefert worden war, an der Wand aufstapeln. Auf dem wuchtigen Hauklotz wurden die großen Holzklötze zu Kleinholz geschlagen. Erst war das Roberts, dann Wolfgangs und danach Mannis Aufgabe.
    Hinter dem dritten hatte sich lange Zeit noch ein vierter Kellerraum befunden, der irgendwann zugemauert worden war. Was Mannis Phantasie lange beschäftigte. Sollte in diesem zugemauerten Raum denn gar nichts mehr sein? Das konnte er sich nicht vorstellen. Ein Raum, den niemand betreten konnte und in dem nichts war, hatte keinen Sinn. Also versteckten die Erwachsenen in diesem Raum etwas? Er konnte sich denken, was. Oder besser: wen! Mutters ersten Mann! In einem Eisbärenfell lief er hinter der Mauer hin und her und hatte furchtbaren Hunger.
    Wie er darauf gekommen war? Im Hinterzimmer hing ein großes Foto, auf dem Mutters erster Mann abgebildet war, jener dicke und glatzköpfige Georg John, der Roberts und Wolfgangs Vater war. Er trug unter der Nase ein kleines Bärtchen, blickte aber nicht streng, sondern eher stillvergnügt. Und im Rahmen des großen Fotos steckte noch ein kleines, da kuckte der Dicke mit der Glatze fröhlich aus einem Eisbärenfell heraus, in dem er, wie die Mutter erzählt hatte, nur deshalb steckte, damit Kinder sich mit

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