Krokodil im Nacken
mehr aufs Klo gehen, verdrückte einfach, was aus ihm herausdrängte. Und dann passierte es, dass er mitten im schönsten Ruinenabenteuer plötzlich musste und die anderen Kinder seinen Elefantenschiss bestaunten.
Auch um Onkel Karl machte Manni lieber einen Bogen. Weil Onkel Karl sich einfach nicht damit abfinden wollte, einen bettnässenden Neffen zu haben. Die Mutter entschuldigte ihren Jüngsten mal wieder mit dem Kriegskind. Onkel Karl, richtig Friedrich Karl Buch, der mit Mutters jüngerer Schwester Grit verheiratet war und jedes Mal mit einem Opel Olympia vor dem Ersten Ehestandsschoppen vorgefahren kam, war da strenger. War es wieder mal passiert, drohte er Manni, ihn mitsamt dem nassen Laken als Kühlerfigur über den Alexanderplatz zu fahren. Damit alle Welt von seiner Schande erfuhr. »Ein Junge, der bald zur Schule kommt und noch nicht stubenrein ist, der ist doch eine Blamage für die ganze Familie.«
Die Mutter sagte, Onkel Karl scherze nur; Manni war sich da nicht so sicher.
Tante Grit fürchtete Manni nicht, die liebte er. Weil sie eine so junge, hübsche und immer gut angezogene Tante war, die toll roch und selber keine Kinder hatte, er also total konkurrenzlos war.
Die Mutter war längst nicht so schön wie Tante Grit. Ihre ein wenig vorstehenden Zähne verhinderten jede Ebenmäßigkeit. Doch sie hatte sehr volles dunkelblondes Haar und milde, stets freundlich lächelnde Augen und neidete ihrer Schwester nicht, dass sie eine solche Filmprinzessin war. Versuchte Tante Grit, sie zu überreden, doch auch mal einen Lippenstift zu benutzen, lachte sie nur: »Nee, danke! Ich komm auch so mit mir zurecht.«
Auch Tante Lucie, Schwester von Mutters erstem Mann und deshalb eigentlich nur Roberts und Wolfgangs Tante, war lange nicht so schön wie Tante Grit, und wenn sie nach irgendwas roch, dann nach dem, was sie gerade gekocht hatte. Für Manni auch ein sehr angenehmer Duft. Alte Jungfer, spotteten die Männer in der Kneipe über Tante Lucie, weil sie nie geheiratet hatte und sehr fromm war und auch so aussah. Dennoch liebte Manni sie ebenfalls sehr, wenn auch auf eine ganz andere Weise als Tante Grit. Tante Lucie gehörte zu ihm wie die Mutter, Robert und Wolfgang; sie lebte bei ihnen, solange er denken konnte. Als er noch ganz klein war, war sie es, die sich um ihn gekümmert hatte. Die Mutter musste ja hinter der Theke stehen. Tante Lucie erledigte all das, wozu die Mutter keine Zeit fand. Nur hinter der Theke stand sie nicht gern. Sie mochte die Männer nicht, die ihre Qualitäten nicht erkannten.
Ja, alles, was unangenehm stank, fürchtete Manni. Gute Düfte aber mochte er. Oft zog er in der Raumerstraße von Laden zu Laden und roch mal hier, mal dort hinein. Da gab es die beiden Fleischereien, die einander Konkurrenz machten, den Blumenladen mit den beiden Bernhardinerhunden, die Seifenhandlung der Witwe Krause, Wilkes Lebensmittelladen, den Schuster Schmiedepfennig und – als Höhepunkt – die Zoohandlung an der Prenzlauer Allee. Es waren überall andere Düfte, die den Besucher empfingen, er aber mochte sie alle. Er sei ein Nasenmensch, hatte die Mutter mal gesagt, und er wollte das auch sein. Bis er eines Tages fand, dass es noch besser war, ein Augenmensch zu sein. Etwas Schönes zu sehen, erschien ihm noch begehrenswerter, als dieses Schöne nur zu riechen. Das traf besonders auf die Zoohandlung zu, aus der er manchmal gar nicht herauszubekommen war. Dort gab es bunte Vögel, bizarr geformte und in allen Farben schillernde Zierfische und riesige grünbraune Eidechsen zu bestaunen. Und jedes Jahr im Mai jede Menge Maikäfer. Natürlich war es besser, sie selbst zu fangen, indem man sie auf dem Nordmarkplatz von den Bäumen schüttelte; wenn es dort aber zu wenige gab, mussten Gekaufte her. Alle Kinder in der Straße trugen ihre mit Löchern versehenen Zigarrenkisten mit etwas Grün darin spazieren und dann wurde getauscht: Bäcker gegen Schornsteinfeger, Müller gegen König, zwei Normale gegen einen langen, dünnen Riesenmaikäfer. Und zum Schluss durften sie dann alle fortfliegen, damit sie auch ja nächstes Jahr wiederkamen.
Am liebsten jedoch – das aber verriet Manni keinem – hielt er sich in seiner eigenen Welt auf; eine Welt, zu der weder die Mutter noch Tante Lucie oder die beiden Brüder Zugang hatten; sein Fluchtpunkt, wenn ihn die andere, wirkliche Welt mal wieder enttäuscht hatte.
Da war zuallererst die kleine Wohnung im ersten Stock der Raumerstraße 24. In der schliefen
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