Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
Vom Netzwerk:
haben. Und tatsächlich, auf seiner nackten Brust erschien ihm das unerlaubte, kühle Blatt als wirksames Stärkungsmittel.
    Er spielte mal wieder mit dem Kugelschreiber, der Genosse Leutnant in seinem heute taubenblauen Anzug, lutschte einen Bonbon, grinste Lenz entgegen und wusste nicht, dass er seit wenigen Stunden Knut hieß. Wie immer während der letzten Vernehmungen rückte Lenz seinen Hocker dicht vor den Häftlingstisch und blickte sich nach den ansonsten immer schon bereitliegenden Zigaretten um.
    »Wollen Sie auch einen?« Der Leutnant hielt ihm die Tüte mit den Bonbons hin.
    »Danke! Lieber nicht! Ist mir zu ungesund.« Wo waren denn die Zigaretten? Hatte »Knut« sie vergessen? Und wenn ja, war das Absicht? Wollte er ihn mal wieder nervös machen? Oder gar demütigen? Sollte er bitte, bitte machen?
    »Wie geht’s?«
    »Danke der Nachfrage!«
    »Dann können wir ja anfangen.«
    »Bitte.«
    Es ging noch immer um die Fluchtgründe. Der Leutnant und seine Vorgesetzten wollten nicht begreifen, weshalb dieser Manfred Lenz, dem doch in der DDR alle Entwicklungschancen geboten worden waren, seine Heimat verlassen wollte. Die Volkshochschule habe er besuchen, ein Studium aufnehmen, sogar ins westliche Ausland reisen dürfen. »Finden Sie nicht, dass Sie undankbar sind?«
    »Nein. Wieso denn? Hab nicht bemerkt, dass mir was geschenkt wurde.«
    »Tja, manche Menschen sind eben blind!« Ein Weilchen sah der Leutnant Lenz nur nachdenklich an, dann wollte er plötzlich wissen, weshalb Lenz seine Dienstreisen denn nicht genutzt hatte, um im westlichen Ausland zu bleiben. Er hätte sich doch völlig gefahrlos von der westdeutschen Botschaft in Jakarta oder Neu-Delhi einen bundesdeutschen Pass ausstellen lassen und damit in die Bundesrepublik ausreisen können.
    »Und meine Familie? Wie hätte ich die nachholen sollen?« Lenz sagte nicht, dass er zu jener Zeit nicht einmal im Traum an eine Flucht gedacht hatte.
    »Große Liebe, was?« Der Leutnant machte ein spöttisches Gesicht.
    Lenz zuckte die Achseln. »So was soll’s geben.«
    Wieder sah der Leutnant ihn an, dann schüttelte er den Kopf. »Wenn ich mir Ihren Werdegang ansehe und die kriminelle Energie betrachte, die Sie aufbrachten, um von uns wegzukommen, wirkt Ihre Flucht geradezu lächerlich. Wie geht das Sprichwort? Wenn es dem Elefanten zu gut geht, tanzt er auf dem Eis.«
    Der hätte lieber Zigaretten bereitlegen sollen, als ihm mit solchen Weisheiten zu kommen.
    »Wissen Sie, was ich vermute? Sie wollten uns nur Ihrer Frau zuliebe verlassen.«
    »Das muss keine falsche Schlussfolgerung sein.« So lautete ihre Absprache: Wenn sie wider Erwarten doch gefasst werden sollten, wollten sie aussagen, dass keinerlei politische Motive hinter ihren Fluchtabsichten steckten, sondern allein der Wunsch nach Familienzusammenführung. Doch ob Hannah sich noch daran hielt? Vielleicht hatte sie ja längst die Wahrheit gesagt.
    »Also tatsächlich: die große Liebe! Nur hat Ihre Frau leider anderes erzählt.«
    Das mit den Zigaretten war wohl doch Absicht, er wollte ihn heute mal wieder zwiebeln, dieser Knut.
    »Sie waren doch oft zur Leipziger Messe. Man weiß ja, wie es da so zugeht zwischen Männlein und Weiblein.«
    »Könnten Sie ein wenig deutlicher werden?«
    »Bitte schön: Ihre Frau hat so einige Zweifel an Ihrer ›großen Liebe‹ geäußert. Und erst recht an Ihrer Treue.«
    Lenz musste lächeln. »Nennt man so etwas psychologische Kriegsführung?«
    »Sie glauben mir nicht?«
    »Nicht, solange meine Frau diese Äußerung in meiner Gegenwart nicht wiederholt hat.«
    »Denken Sie etwa, wir wollen Sie und Ihre Frau gegeneinander ausspielen?«
    »Der Verdacht liegt nahe.«
    »Sie trauen uns ja allerhand zu.« Er machte ein überhebliches Gesicht, der Genosse Leutnant, zog die Schublade auf und warf eine angebrochene Packung Zigaretten auf den Tisch. »Hab ganz vergessen, dass Sie Raucher sind.«
    So wird man es ihnen beigebracht haben, den Genossen Vernehmern: Behandle den zu Vernehmenden mal freundlich und großzügig, mal brause über die geringste Kleinigkeit auf; sei mal der mitfühlende Mitmensch, mal der strenge Untersuchungsrichter. Sie wissen, dass du jedes Wort, das hier gesprochen wird, in deiner Zelle tausendmal wiederholst, und rechnen damit, dass sich auch die kleinste, wie nebenbei hingestreute Bemerkung in deinem Kopf festsetzt und irgendwann Zweifel auftauchen: Kann es denn nicht doch sein, dass Hannah dir zutraut, in Leipzig den Don Juan gespielt

Weitere Kostenlose Bücher