Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
Vom Netzwerk:
zu haben?
    Knut machte sich Notizen, schrieb und schrieb, obwohl sie noch gar nicht viel miteinander geredet hatten, bis er mit einem Mal mitten in seiner Schreiberei aufsah: »Wissen Sie eigentlich, wie viele Medaillen wir auf der Münchner Olympiade geholt haben?«
    Woher hätte Lenz das wissen sollen? Er bekam keine Zeitung, hörte keinen Rundfunk, durfte keinen Besuch empfangen. Und glaubte der Leutnant etwa, in seiner jetzigen Situation würde ihn das interessieren?
    »Zwanzigmal Gold, dreiundzwanzigmal Silber, dreiundzwanzigmal Bronze. Drittbestes Land der Welt – wir, die kleine DDR, gleich nach der Sowjetunion und den USA.«
    Ein Test? Wollte der Leutnant sehen, ob ihn diese Nachricht freute, um daraus seine Schlüsse zu ziehen? »Und die Bundesrepublik, wie viele Medaillen hat die geholt?«, fragte Lenz.
    »Nicht so viele.«
    »Aber doch sicher auch nicht wenig, oder?«
    Keine Antwort! Der Genosse Knut machte nur weiter Notizen, bis er sich endlich laut aufseufzend zurücklehnte und wieder die Rolle des Verwunderten spielte: Na ja, sei es, wie es sei, er jedenfalls könne nicht verstehen, dass jemand allein einer Frau zuliebe alle Brücken hinter sich abbrechen wollte. Sicherlich, die DDR sei kein Schlaraffenland, man müsse zupacken, wolle man sich einen gewissen Wohlstand schaffen, aber das sei ja schließlich überall so. Andererseits jedoch gebe es in der DDR keinerlei Ausbeutung und keine ungewisse Zukunft für den, der arbeiten wolle. In der Ellenbogengesellschaft des Westens, das bestätigten ja selbst westliche Gesellschaftskritiker, versuche doch jeder, den anderen beiseite zu drücken, nur um selbst vorwärts zu kommen. Das sei ja schon ein richtiger Krieg jeder gegen jeden, der sich da in der Bundesrepublik abspiele. Ob er, Lenz, sich ein solches Leben denn wünsche, ob er wolle, dass die Welt in diesem Stadium stehen bleibe? »Haben Sie im Studium denn nicht gelernt, dass der Mensch im Kapitalismus nur nützliches Werkzeug der Produktionsmittelbesitzer ist und bloß deshalb ernährt wird, damit man ihn weiter ausbeuten kann? Wir hingegen schaffen eine Welt, in der der Mensch gestalterische Kraft ist, wir bauen ein wahrhaft demokratisches und sozialistisches Deutschland auf. Ist daran mitzuarbeiten denn keine lohnende Sache?«
    Vorsicht, Manne! Das ist wieder mal so ein Abgeklopfe. Wer ist wer? Sie sind noch nicht zufrieden mit dem, was sie bisher über dich in Erfahrung gebracht haben.
    »Sie schweigen?«
    Lenz schwieg. Es gab für alles eine Grenze; über die eine hatte die Stasi ihn nicht gelassen, über die andere ließ er die Stasi nicht. Er war doch kein Automat, oben steckst du ein paar Zigaretten rein, unten plappert er los.
    »Also finden Sie alles wunderbar bei uns? Die Frage ist nur: Weshalb wollten Sie dann weg?«
    Lenz wollte weiter schweigen, aber dann juckte es ihn doch, den Mund aufzumachen. »Vielleicht bin ich das blöde Känguru, das aus dem Zoo hüpft und damit alles aufgibt – Fressen, Ruhe, Geborgenheit –, nur weil es eine ferne Ahnung von Australien hat.«
    »Zoo! Aha!« Der Leutnant notierte das Wort. »Sie haben sich bei uns also ›gefangen‹ gefühlt?«
    Siehste, Lenz, so leicht verrät man sich! »Sagen wir mal so: eingeengt.«
    »Und was hat Sie ›eingeengt‹?«
    Eigentlich fast alles, hätte er sagen müssen. Doch dann hätte er ja gleich zugeben können, dass Hannah und ihn nicht nur Familienzusammenführungsgründe bewegt hatten. »Manche Vorschriften haben mir nicht zugesagt.«
    »Na, dann erläutern Sie diese ›Vorschriften‹ doch mal näher.«
    »Die Vorschriften, welche Bücher ich lesen, welche Musik ich hören, welche Filme ich sehen darf; die Vorschriften, welche Moralvorstellungen ich zu befolgen habe. Ich fände es schön, hin und wieder auch einfach mal nur ich selbst sein zu dürfen.«
    »Ich bin ich und alles andere interessiert mich nicht?«
    »Was ist so schlimm daran, wenn einer selber denken will?«
    Der Leutnant machte sich erst mal nur Notizen, dann empörte er sich: »Wo haben Sie die letzten Jahre denn gelebt? Bei uns gibt es ein ehernes, unumstößliches Gesetz; es lautet: Im Mittelpunkt von allem steht der Mensch. Wir freuen uns über jeden, der ›selber denken‹ will, aber wir wehren uns gegen alle, die sich von feindlich-negativen Kräften manipulieren lassen und uns deren Parolen als Selberdenken verkaufen wollen.« Er warf seinen Kugelschreiber aufs Papier. »Menschenskind, kapieren Sie denn nicht: Sie wollten in ein Land

Weitere Kostenlose Bücher