Krokodil im Nacken
lachen mussten.
Hätten Volkspolizisten sie angehalten, hätten sie mit ehrlichem Gesicht beteuert, den Ofenrost in einem Laden gekauft zu haben, um ihn der Tante Frieda oder dem Onkel Otto in den Häusern auf der linken Straßenseite zu bringen. Denen sei der alte nämlich geklaut worden und sollten sie im Winter denn frieren? Doch nie wurde einer von ihnen angehalten und so gelangten sie jedes Mal ungefährdet auf dem Schrottplatz Ecke Wolliner an. Dort empfingen sie mehrere Schrottgebirge und jede Menge Konkurrenten, die ihre mühselig aus den Ruinen gezogene Ausbeute auf kleinen Handwagen herantransportiert hatten. Mit ihren neuwertigen Ofenrosten fielen sie natürlich auf, aber nicht ein einziges Mal fragte der Schrotthändler, woher sie die denn hätten. Waren sie ein paar Mal wie die fliegenden Kuriere hin- und hergependelt – mehr als ein in Zeitungspapier verpacktes Ofenrost auf dem Gepäckträger wäre aufgefallen –, fühlten sie sich, nachdem sie das erhaltene Westgeld in der nächsten Wechselstube in Ostmark umgerubelt hatten, wie die Millionäre.
Der dicke Gerd war es dann, der davon redete, es sich künftig noch leichter zu machen, im Dunkeln was vom Schrottplatz zu klauen und das Zeug zwei Tage später einem anderen Schrotthändler – oder auch demselben, wie sollte der sein Gerümpel denn wiedererkennen? – ein zweites, drittes oder auch viertes Mal zu verkaufen. Sie fanden aber bald heraus, dass alle Schrottplätze nach Toresschluss von Hunden oder alten Männern bewacht wurden, und ließen den Plan entmutigt fallen.
Als sie dann doch einmal an der Grenze erwischt wurden, war es nicht mit Ofenrosten, sondern mit mehreren Stapeln Comics, die sie sich unter die Hemden geschoben hatten.
Es war an einem schönen, warmen Sommertag. Sie hatten einen Fahrradausflug nach Neukölln gemacht, in eine Laubenkolonie an der Sonnenallee. Das war auch im Westteil der Stadt, aber eher südlich. In einer der Lauben nahe dem Bahndamm wohnte seit neuestem der Fleischermeister Möckel mit seiner hübschen Tochter Moni, den Zwillingen Hans und Helmut, seiner verhuschten Frau und seiner steinalten Mutter. Möckels waren eines Nachts »abgehauen«. In der Raumerstraße wurde gemunkelt, sie hätten fliehen müssen, weil die Hygienekontrolle in ihren Würsten Rattenfleisch entdeckt hätte. Die Mutter wusste es besser. »Quatsch!«, hatte sie gesagt. »Der Möckel ist weg, weil sie ihn im Osten nicht leben ließen. Wer hier ’n Laden hat, ist doch gleich ’n Kapitalist, ganz egal, wie arm oder reich er wirklich ist. Und das Mädel wollte doch zur Oberschule, um später mal studieren zu können. Als Fleischermeisterstochter, die zur Kirche geht anstatt zur FDJ, durfte die Moni das hier ja nicht.«
Jetzt hatte der Herr Möckel keine Fleischerei mehr, jetzt arbeitete er in einer Wurstfabrik. Hans und Helmut aber sagten, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis ihr Vater wieder eine eigene Fleischerei aufmachen würde. Und zum Abschied spielten sie die reichen Westler und schenkten ihnen alle ihre schon ausgelesenen Micky-Maus-, Tarzan-, Supermann - und Phantom -Hefte. Mit denen wurden sie dann an der Grenze erwischt. Ihre »Tantengeschenke« wurden von den Volkspolizisten einbehalten und ihre Eltern erhielten polizeiliche Verwarnungen. Es sei ihre Pflicht, ihre Söhne zu aufrechten, sozialistischen Persönlichkeiten zu erziehen, stand in dem Papier.
Da war die Mutter gleich wieder in Sorge. Ein Junge, der keine Schularbeiten machte, eine ganze Woche die Schule schwänzte und nun auch noch mit der Polizei in Konflikt kam – was sollte aus dem bloß mal werden! Ein Verbrecher vielleicht? Und was, wenn ihr wegen dieser Comic-Sache die Konzession entzogen wurde? Die da oben lauerten doch nur darauf, ihr die Kneipe wegzunehmen. Es sollte doch alles verstaatlicht werden, in der Zeitung hatte es gerade erst wieder gestanden.
Manni versprach Besserung, in Wirklichkeit aber bewegte ihn etwas ganz anderes: Die Möckels waren ja nicht die Ersten, die bei »Nacht und Nebel« in den Westen gegangen waren. Zuerst war die Familie Bohm verschwunden. Bohms hatten im Hinterhaus gewohnt, und der lange Alf Bohm, älter als Manni, hatte ihn oft in sein Zimmer hochgeholt, um ihm seine elektrische Eisenbahn vorzuführen. Eines Tages hieß es, Bohms seien ins Rheinland »abgetaucht«, und darüber war er lange sehr traurig, denn er hatte Alf sehr gemocht. Dann stand eines Tages die Wohnung der Familie Uhlenbusch leer. Hansi Uhlenbuschs
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