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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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mussten Frösche her, denen sie lieber keine Namen gaben, damit sie ihnen nicht allzu Leid taten, wenn sie sie an Rieke verfütterten. Doch natürlich war die Panke in Wahrheit gar nicht die Panke, sondern der Mississippi, und die Frösche waren Piranhas, obwohl die im Mississippi ja gar nicht vorkamen.
    Einmal schafften Kalle und Manni es, eine ganze Woche lang schon morgens nach Buch rauszufahren. Wozu denn noch zur Schule gehen, da sie sich ja sowieso bald nach Hamburg durchschlagen und als Schiffsjungen nach Süd- oder Nordamerika schippern würden? In dieser Woche strichen sie oft über die Wiesen und Felder rings um die Kiesgrube, fanden jede Menge verrostete Patronenhülsen und an einem sehr verregneten Tag einen rostzerfressenen deutschen Stahlhelm.
    Waren die Löcher darin etwa Einschüsse? Waren hier Soldaten ums Leben gekommen?
    Natürlich kam die Schulschwänzerei raus, und die Mutter wusste gleich, wer wen verführt hatte. Onkel Willi griff zu seinem Rohrstock, und die Mutter hielt Manni eine Standpauke und fragte, ob er denn wieder sitzen bleiben, sein ganzes Leben in der fünften Klasse verbringen wolle?
    Er antwortete nur frech: »Na und? Wenn es mir in der Fünften doch so gut gefällt.«
    Beliebtester Spielplatz der Kinder aus der Umgebung aber blieb die Ruine am Bezirksamt. Dort trafen sie sich zu sechst, siebt oder acht, rauchten, tranken Schnaps, tauschten Comics, bestanden Mutproben und erkundeten finstere Kellergänge. Wurden die Pförtner vom Bezirksamt auf sie aufmerksam, mussten sie flitzen. Schon nach einer halben Stunde aber waren sie wieder da. Wurde den Pförtnern die Sache dann zu dumm, riefen sie die Pupe – die Polizei –, die kurz darauf kam, das Gelände durchkämmte und ihre Höhle zerstörte.
    Einmal wurde auf der Flucht vor der Polizei ein Junge aus einer anderen Straße vom Auto überfahren und starb. Das ging im ganzen Kiez herum, und die Eltern ermahnten ihre Kinder noch eindringlicher, nicht in den Ruinen zu spielen. Sie gingen trotzdem wieder hin; erst jetzt war das Ganze zum wirklichen Abenteuer geworden.
    Fanden Straßenschlachten zwischen verfeindeten Cliquen statt, flogen Steine, wurden Knüppel geschwungen und Gefangene gemacht. Dazu brauchte man Mut, den Manni nicht immer hatte. Jedes Jahr im Mai wurde Flieder geklaut und am S-Bahnhof Prenzlauer Allee verkauft; der Strauß für einen Fünfziger. Dazu brauchte es nicht sehr viel Mut, da musste man nur Acht geben, dass nicht gerade die Pupe in der Nähe war.
    Vor der größten aller Mutproben, im Gänsemarsch vom S-Bahnhof Prenzlauer Allee zum Bahnhof Greifswalder Straße zu laufen, immer dicht neben den S-Bahn-Schienen her, fürchtete Manni sich seltsamerweise nicht. Dabei war doch gerade das sehr gefährlich. Kam ihnen eine Bahn aus Richtung Greifswalder Straße entgegen, hätten sie die Waggons mit den Händen berühren können. Und war eine S-Bahn vorübergefahren, hieß es, schnell zu sein, denn ganz sicher hatte der Fahrer sie gesehen und benachrichtigte auf dem Bahnhof Prenzlauer Allee die Aufsicht. Schoben zwei Beamte dort Dienst, musste jeden Augenblick einer angelaufen kommen, um sie von der Bahnanlage zu vertreiben; war nur ein Beamter in der Bahnhofsaufsicht, rief er die Pupe an. Die brauchte dann zwar ein bisschen länger, dafür kamen die Polizisten aber immer gleich zu zweit oder dritt.
    Oft hockten sie in ihrer Höhle und überlegten, wie sie zu Geld kommen konnten. Dann fiel ihnen, wenn nicht gerade Mai war, immer nur eines ein: Buntmetall. Alle Ruinen der Umgebung wurden abgesucht und die gut getarnte Tagesausbeute – Kupferkabel, Bleirohre, Messinghähne, Zinkbleche, Eisenlegierungen – auf Fahrrädern in den Westen hinübergeschafft und auf dem nächsten Schrottplatz verscherbelt. Später, als es immer weniger Buntmetall gab – sie waren ja nicht die einzigen Trümmerasseln –, fuhren sie auf ihren Rädern nicht mehr in die Ruinen, sondern in die Neubauviertel, um die gusseisernen Roste aus den frisch aufgestellten Öfen zu klauen. Damit radelten sie dann, einzeln und in großen Abständen, über die Sektorengrenze an der Bernauer Straße. Einer allein fiel nicht so auf, und wurde er erwischt, waren die anderen gewarnt.
    In der Bernauer Straße gehörten die Häuser auf der linken Straßenseite noch zum Osten, der Bürgersteig davor aber war schon Westen; streckte also einer den Kopf aus dem Fenster, war der im Westen, sein Hintern aber befand sich noch im Osten. Ein Bild, über das sie oft

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