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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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starrten mit empörten, neugierigen und ängstlichen Gesichtern den Panzern entgegen. Die schwarzen Kordanzüge der Zimmerleute, weiße Maurerdrilliche, blaue Arbeitsjacken waren darunter zu entdecken, aber auch Trenchcoats, Sakkos und gelbe Nickis mit bunten Bildern drauf. Die Brettertafel, die in Deutsch, Englisch, Französisch und Russisch die Grenze nach WestBerlin ankündigte, war auch hier schon aus dem Pflaster gerissen worden und auf WestBerliner Seite standen viele Schaulustige; Gruppen und Grüppchen von Männern und Frauen, die sich nicht herüberwagten.
    Mit wütenden Pfiffen und lautem Protestgeschrei wurden die Panzer empfangen und gleich darauf die ersten Steine aus dem Pflaster geklaubt und gegen die rasselnden Ungetüme geschleudert.
    »Ick will hier weg.« Kalle hatte das noch nicht ganz heraus, da huschte er schon wie eine von Hunden gejagte Katze auf ein im Krieg zerbombtes Haus zu, um sich hinter einer niedrigen Mauer zu verbergen. Manni flitzte ebenfalls los, kniete sich neben ihn hin und beobachtete über die Mauer hinweg, was weiter geschah.
    Ein Panzer mit der Nummer 93 kam auf die Menschenmenge zugefahren, ein hagerer Mann in Maurerjacke aber wich nicht zurück, prügelte nur von der Seite her wie wild mit einer Eisenstange auf das stählerne Ungetüm ein; fast so, als wollte er einen Drachen erschlagen. Mehr als ein mattes Klicken war aber nicht zu hören. Wütend warf der Mann die Eisenstange weg und bückte sich nach Steinen, andere eilten ihm zu Hilfe, bald wurde der Panzer aus allen Richtungen bombardiert.
    Der Panzer aber hielt nicht inne, im Gegenteil, er wurde immer lebendiger. Die Raupenketten klirrten laut, und scheppernd drehte sich der Turm, um die Steine werfenden Männer mit dem Geschützrohr zu bedrohen. Da ließen einige fallen, was sie gerade in den Händen hielten, und liefen fort, andere jedoch wichen nur langsam zurück. Bis es irgendwo laut krachte und auch die Wagemutigsten davonstürzten.
    »Sie schießen!«, schrie Kalle und hastig wollte er hinter den Fliehenden her. Manni hatte Mühe, ihn festzuhalten. Sie durften jetzt nicht weglaufen, sie würden ja direkt vor den Panzer mit dem sich ständig drehenden Geschützrohr rennen. Doch dann wollte Kalle auf einmal gar nicht mehr weg. Mit weit aufgerissenen Augen sah er zu einem Mann hin, der Haken schlagend vor einem der Panzer herlief. Der Panzer war sehr beweglich und folgte dem Flüchtenden überallhin, bis der Mann endlich aufgab und sich mit dem Rücken an eine Hauswand presste. Der Panzer aber stoppte nicht, sondern fuhr auf den Mann zu, als wollte er ihn mit seinem Geschützrohr zerquetschen. Erst wenige Zentimeter vor ihm drehte er ab.
    Der Mann rutschte an der Hauswand herunter und schlug die Hände vors Gesicht.
    Das sah nun doch nach Krieg aus, das musste auch Manni zugeben.
    »Ick will nach Hause.« Kalle liefen die Tränen übers Gesicht und Manni hätte am liebsten mitgeheult. Er wollte auch nach Hause. Aber wie sollten sie denn hier wegkommen? Es wurde ja schon wieder geschossen. Tacktacktacktack machte es, immer wieder Tacktacktacktack. Waren das Maschinenpistolen? Erneut linste er über die Mauer. Mit normalen Gewehren konnte man nicht so schnell schießen, das wusste er aus vielen russischen Kriegsfilmen. Was er dann beobachtete, erschreckte ihn noch mehr: Es waren nicht die russischen Soldaten, die schossen – es waren mit Maschinenpistolen bewaffnete Volkspolizisten. Sie verfolgten die fliehenden Menschen, blieben hin und wieder stehen und schossen.
    Er wollte schreien, dass sie damit aufhören sollten – wie leicht konnten sie jemanden treffen! –, als mit einem Mal eine Lautsprecherstimme über den Platz dröhnte. Es klang, als hätte sich der liebe Gott persönlich zu Wort gemeldet, um die dummen Menschen zur Ordnung zu rufen. »Lasst das Schießen sein«, hallte es laut. »Ihr werdet eines Tages dafür zur Verantwortung gezogen.« Und gleich darauf noch einmal und immer wieder: »Lasst das Schießen sein! Ihr werdet eines Tages dafür zur Verantwortung gezogen.«
    Stand der Lautsprecher im Westen? Manni wurde ein bisschen größer, konnte jedoch keinen Lautsprecherwagen entdecken. Er sah nur überall fliehende Menschen. Einige liefen in Richtung Grenze, andere versuchten sich vor den Schüssen zu retten, indem sie in die Ruinen flüchteten. Wieder andere ließen sich einfach nur fallen, um nicht getroffen zu werden. – Oder waren sie etwa schon getroffen worden?
    Er spürte, wie ihm übel

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