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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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dem Westen kamen, immer besonders streng kontrolliert zu haben, von der Brücke auf die S-Bahn-Gleise geworfen worden. Ob sie noch lebten, wisse er nicht. Sagte es, trank von dem Bier, das Onkel Willi ihm gebracht hatte, keuchte noch ein bisschen und erzählte danach voller Genugtuung weiter, die Straßen seien inzwischen voller weggeworfener Schwimmkorken. »Wer die alle auflesen will, braucht ’n LKW.«
    Mit »Schwimmkorken« meinte der Bessel Parteiabzeichen. Er nannte sie so, weil er der Meinung war, dass alle, die solch ein Abzeichen trugen, immer oben schwammen, und vergaß dabei nur, dass er zwölf Jahre lang auch einen, nur eben andersfarbigen Schwimmkorken getragen hatte.
    Bessels Ankunft war für Onkel Willi ein Grund, sich ebenfalls am Stammtisch niederzulassen. »Tja«, sagte er zufrieden. »Se konnten’s ja nicht abwarten, in Ulbrichts Verein einzutreten. Nu hab’n se ihr Schlamassel.«
    Manni war schon aus Prinzip gegen alles, was der Bessel oder Onkel Willi sagte, diesmal aber wusste er es wirklich besser: Der Bremser hatte sein Parteiabzeichen nur eingesteckt, nicht weggeworfen, und der Mann, der blutend aus der Friedrichstraße gekommen war, hatte seines nicht mal abmachen wollen. Auch der mit dem Hut, der vor dem Brandenburger Tor eine Rede gehalten hatte, hatte seines nicht freiwillig hergegeben. Also gab es »sone und solche«, wie die Mutter immer sagte; wer alle über einen Kamm scherte, machte es sich zu einfach. Außerdem, auch wenn der Bremser der größte Feind aller Kneipiersöhne war, er konnte ihn gut verstehen; er hätte sich auch nicht nur wegen eines Abzeichens verprügeln oder gar von einer Brücke werfen lassen wollen.
    Else Golden, immer in Gefahr, wegen Schwarzhandels erwischt zu werden und für vier, fünf Jahre hinter Zuchthausgittern zu verschwinden, hatte noch Aufregenderes zu berichten. Gerade von drüben gekommen sei sie – und da hatte sie natürlich, ohne dass sie es extra erwähnen musste, irgendwelche Waren oder Westgeld bei sich –, als sie plötzlich mitten in »sone Krawalldemonstration« hineingeriet. Volkspolizisten lösten die Menge auf, und ein paar besonders erregte »Krawallmacher« wurden abgeführt und sie, die nur zufällig dort vorbeigekommen war und sich nicht mehr rechtzeitig verdrücken konnte, beinahe auch. Zum Glück sei sie an einen Vopo geraten, der sie für eine Schachtel Golddollar laufen ließ. »Es lebe der korrupte Beamte!« Sie hielt ihr Schnapsglas hoch und alle stießen mit ihr an und konnten sich mal wieder nur über ihr tolles Elschen wundern.
    Manni sah, wie auch die Mutter sich einen Schnaps einschenkte. Und das diesmal nicht aus der Trickflasche mit dem Wasser, aus der sie sonst immer trank, weil sie ja an manchen Tagen zwanzigmal zu einem »Schlückchen« eingeladen wurde und diese Einladungen nicht abschlagen durfte, wollte sie niemanden beleidigen. Sie trank aus einer echten Flasche, und das tat sie nur, wenn ihr danach zumute war.
    Still zog er sich ins Hinterzimmer zurück, kurbelte am Radio und hörte mal hier, mal dort einem der aufgeregten Reporter zu, bis es kurz vor neun war und er mitbekam, wie die Mutter den schweren Rollladen runterließ. Also war inzwischen auch der letzte Gast gegangen. Gleich legte er sich ins Fenster und schaute dem Bessel, der Brikett-Anna und dem Hemden-Rudi nach, wie sie langsam die Straße hinunterwackelten.
    Die Mutter kam zu ihm. »Willste dich nicht endlich ausziehen und waschen?«, fragte sie streng. Sie hatte ihm den Kummer, den er ihr bereitet hatte, noch nicht vergessen.
    Erst blickte er sie nur an, dann fragte er leise, ob das jetzt Krieg sei.
    Sie erschrak, zog ihn an sich und fuhr ihm durchs Haar. »Wie kommst du denn auf so was? Natürlich nicht! Krieg ist was ganz anderes. Das hier ist doch nur so ’n bisschen Stänkerei.«
    »Aber im Radio haben se von Kriegsgesetzen gesprochen.«
    Da schüttelte sie mal wieder über ihn den Kopf. »Ist nicht gut, dass du dir immer solche Sachen anhörst. Kriegst alles in den falschen Hals.« Da ihm diese Antwort aber nicht genügte, fügte sie noch hinzu: »Kriegsgesetze bedeuten noch lange nicht, dass Krieg ist. Schon morgen wird alles wieder sein, wie es war. Die in der Regierung sind doch nicht blöd. Sie werden rückgängig machen, was sie verbockt haben, und die Leute werden wieder zur Arbeit gehen. Wir müssen ja alle Geld verdienen.«
    Er nickte, weil er auf solch beruhigende Worte gehofft hatte, und sie lächelte ihm zu, als sei alles, was

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