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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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verboten; von neun Uhr abends bis fünf Uhr früh dürfe niemand auf die Straße. Wer gegen diesen Befehl verstoße, werde nach Kriegsgesetzen bestraft.
    Also doch: Krieg! Manni stürzte ans Fenster und sah hinaus. Auf der Straße aber war alles ruhig, obwohl es noch längst nicht neun war.
    Weil er wissen wollte, was denn nun wirklich los war, hielt er es nicht länger im Hinterzimmer aus. Obwohl die meisten Gäste seine wenig triumphale Heimkehr miterlebt hatten und ihn noch immer empört oder neugierig anblickten, setzte er sich an den Stammtisch, trank sein Malzbier und hörte zu.
    Arno von der Müllabfuhr: »Redet, was ihr wollt! Arbeiter können doch nicht gegen sich selbst streiken … Da stecken andere dahinter. Wenn ihr mich fragt: Das Ganze hat der Westen angezettelt.«
    Der Hemden-Rudi: »Quatsch mit Soße! Die Leute sind unzufrieden, das ist es! Willste was kaufen, gehste in ’n Laden, hörste: Ham wa nich. Fragste, warum nicht, sagen se: Is nich im Plan! Sagste: Wird aber gebraucht, zucken se die Achseln: Was geht’s uns an, was die Leute brauchen, sind wir etwa für die Leute da?«
    Otto Grün: »Früher hieß es ›Akkord ist Mord‹, jetzt treiben sie die Leute an mit ihrer Hennicke-Methode! Aktivist sollst du werden, aber verdienen sollst du nichts. Alles nur für die Ehre. Und dann verlangen sie auch noch, dass die Leute sich für ihre ›gute Sache‹ begeistern.«
    Die Brikett-Anna: »Se woll’n Nüsse mit ’m Hintern knacken. Aber se werden sich noch wundern – erstens, weil die Dinger auf diese Weise nicht zu knacken sind, und zweitens, weil ihre Nüsse unangenehm duften, sollt’n se se am Ende doch noch aufbekommen.«
    Alles keine neuen Sprüche. Manni wollte schon wieder ans Radio zurück, als Herrmann Holms auf einmal über die vielen Flüchtlinge zu reden begann, die Tag für Tag in den Westen verschwänden. »Jeden Monat Zigtausende! Kein Wunder, dass der Adenauer sagt, wer nicht an Leib und Seele gefährdet ist, soll lieber bleiben. Wo sollen die da drüben denn hin mit all den Leuten?«
    Die göttliche Margot: »Die olle Indianerfratze hat gut reden, sitzt am warmen Ofen und predigt anderen, wie se sich bei Frost zu verhalten haben.«
    Ein Thema, das Manni interessierte. Es verschwanden ja wirklich immer mehr Leute. Und viele flüchteten längst nicht mehr bei »Nacht und Nebel« wie noch die Bohms, die Möckels, Johnny Kleppinger oder die Uhlenbuschs. Er hatte gesehen, wie sie am Bahnhof Zoo aus der S-Bahn stiegen. Sie hatten Gepäck dabei und waren viel zu warm angezogen, weil sie so viele Klamotten wie möglich mitnehmen wollten. Manche kuckten erleichtert, wenn sie es so problemlos geschafft hatten, andere eher misstrauisch und ängstlich.
    Heinz der Stotterer, der meistens schwieg, weil er das Gespräch nicht aufhalten wollte: »Der M-Mensch ist schon i-immer d-dahin g-gegangen, wo d-die g-größten B-Birnen wachsen. D-das kann man d-doch n-niemandem ü-übel nehmen.«
    Er erntete dafür beifälliges Kopfnicken, nur Onkel Ziesche sagte: »Na ja, manche gehen nicht wegen der Birnen weg, sondern allein wegen dem Klima.« Und ein wenig später, als alle noch über diese Worte nachdachten, fügte er hinzu: »Mich interessiert vor allem, als was unsere Oberbirnenzüchter uns die heutigen Vorgänge morgen verkaufen wollen. Eine Konterrevolution, vom Volk selbst in Gang gesetzt, widerspricht all ihren Theorien.«
    »Walter!«, schimpfte die Mutter. »Red doch nicht immer so! Bringst uns noch alle in Teufels Küche.«
    »Liebe Lisa«, Onkel Ziesche lächelte mokant-traurig, »zwölf Jahre lang waren wir das Volk der braunen Lurche – eine Nation ohne Rückgrat. Wenn die Stiefel sich näherten – husch, husch unter den nächsten Stein. Nichts sehen, nichts hören, nichts wissen!« Er hob den Zeigefinger. »Das darf uns nicht wieder passieren.«
    Worte, die die Mutter nur noch mehr ängstigten, weshalb sie, als in diesem Moment die Tür geöffnet wurde, zutiefst erschrak. Es waren aber nur Else Golden und der dicke Bessel, die nacheinander die Gaststube betraten.
    Der vor Aufregung schweißtriefende Herr Bessel bestellte sich mit Handzeichen bei Onkel Willi, der die ganze Zeit über nur hinter der Theke gestanden und mit eher uninteressiertem Gesicht zugehört hatte, ein Bier, dann setzte er sich neben den Hemden-Rudi und berichtete stolz, er komme direktemang von der Warschauer Brücke. Dort seien zwei Zöllnerinnen, die bekannt dafür waren, die Einkaufstaschen der Ostler, die aus

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