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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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anderen die ostdeutschen Klassenbrüder, die gern alle ihre Feinde in die Hände bekommen wollten; kein Wunder, dass dem sozialistischen Bruder das eigene Hemd näher war als die Jacke seines ostdeutschen Verwandten.
    »Noch was?«
    Lenz nickte. »Eine alte Bitte.«
    »Und die wäre?«
    »Auch wenn ich mir das nicht verdient habe, ein Buch oder mal ’ne Zeitung wäre schön – Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht sollen ja auch Lesestoff auf die Zelle bekommen haben.«
    »Stilisieren Sie sich nicht zum Märtyrer. Wann wir Hafterleichterung gewähren und wann nicht, bestimmen ganz allein wir.«
    »Ich klopfe ja nur an.«
    »Klopfen Sie ruhig weiter.« Ein Grinsen, der Griff zum Telefon und der Untersuchungshäftling Lenz wurde in seinen Verwahrraum zurückgebracht.

10. Straßen
    D as letzte Weihnachtsfest mit der Mutter. Am Heiligabend-Vormittag war Manni wie jedes Jahr zum Gesundbrunnen gefahren, um einzukaufen, was sie zum Fest noch brauchten – Apfelsinen, Nüsse, Schokolade, Marzipan –, den Rest des Tages brachte er damit zu, sich auf den Abend zu freuen. Heiligabend war ja »Muttertag«, da schloss die Mutter schon um vier und baute gemeinsam mit ihm den Gabentisch auf, um fünf war Bescherung, und um sechs gingen die Mutter und er in die Küche, um die Ente in die Bratröhre zu schieben und den Kartoffelsalat zu machen. Mit viel Hering. So, wie er ihn liebte.
    Die Wartezeit verkürzte er sich mit Lesen; als er aus seinem Buch wieder auftauchte, hatten die letzten Gäste das Lokal bereits verlassen, und es war so weit, zuerst die Bescherung, dann die Küche. Onkel Willi blieb wie immer am Stammtisch sitzen, las die Zeitung, trank Bier und Schnaps.
    Pünktlich zum Abendbrot standen dann der Bruder und Reni mit ihrem Töchterchen Kati vor der Tür. Die Bescherung feierte Roberts kleine Familie jedes Mal bei seinen Schwiegereltern, am Abend kamen sie in den Ersten Ehestandsschoppen , um ihre Geschenke abzuholen und auch hier noch ein bisschen zu sitzen. Roberts Renate aber sah all die Fehler, die ihre Schwiegermutter bei der Erziehung ihres Jüngsten machte, und konnte nicht darüber hinwegsehen. Und an ihrem letzten Heiligabend hatte Manni der Mutter eine Brotschneidemaschine geschenkt; ein Prunkstück mit hölzerner Handkurbel am gelb lackierten Metall und ein nicht gerade billiges Geschenk. Er empfand dieses praktische Gerät als große Überraschung und hatte sich schon lange vorher darauf gefreut, es der Mutter überreichen zu dürfen. Und die Mutter hatte sich dann auch tatsächlich sehr bedankt und herzlich über ihn lachen müssen. Roberts Reni jedoch ärgerte dieses teure Geschenk. Es sei nicht gut für Kinder, so viel Geld zu besitzen, sagte sie. Mit Tränen in den Augen sprang er auf, lief ins Hinterzimmer, schlug die Tür hinter sich zu und warf sich auf die Couch: Reni hatte ihm seinen Muttertag verdorben! Er war ja nicht dumm, hatte sofort begriffen, dass die Schwägerin in Wahrheit nicht mit ihm, sondern mit der Mutter haderte, die ihm, weil sie so wenig Zeit für ihn hatte, immer wieder Geld zusteckte. Anders hätte er ein solch teures Geschenk ja nie zusammensparen können. Das Schlimmste an diesem Vorwurf aber war, dass er insgeheim spürte, dass Reni Recht hatte. Und die Mutter, das ahnte er, würde das auch wissen.
    Kaum waren Robert, Reni und Kati gegangen, kam die Mutter zu ihm. Er solle das nicht so tragisch nehmen, sagte sie, Reni komme aus einer Flüchtlingsfamilie, ihre Eltern hätten durch den Krieg alles verloren, müssten ganz von vorn beginnen. »Da ist es schwer, mit anzusehen, wenn es anderswo vielleicht ein bisschen zu viel gibt.«
    Sie reagierte mal wieder »großmütig«, wie erst wenige Wochen zuvor, als in der Herrentoilette Bleirohre geklaut worden waren, sie zur Polizei bestellt wurde, um die Täter wiederzuerkennen, und sie keinen der Männer, die sich vor ihr aufbauen mussten, identifizierte. Und das, obwohl doch einer von ihnen an jenem Abend lange in der Gaststube gesessen hatte. »Er hatte so traurige Augen«, erklärte sie, als er sich darüber wunderte, »wer weiß, was der arme Kerl hinter sich hat.«
    Worte, die ihn stolz gemacht hatten. An diesem Abend aber konnte er nicht stolz auf die Mutter sein. Die Verletzung saß zu tief. Und weil er noch immer so beleidigt war, bemerkte er nur wie nebenbei, dass es ihr nicht gut ging. Schlimme Schmerzen mussten sie gequält haben, Schweißtropfen perlten ihr von der Stirn, immer wieder presste sie die Hand auf den

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