Kronhardt
Kassenreferentin war eine unscheinbare Frau, sie lebte alleine, ein alter Nachbar hütete tags ihren Dackel, sie aà gerne HeiÃwecken und Gekochte, und Willem konnte keine offensichtlichen Verbindungen von dieser Frau zu seiner Mutter aufdecken. Zur Sicherheit durchsuchte er aber noch das Büro der Alten â AdreÃ- oder Telefonverzeichnis, alles, was in Frage kam, und erst als er auch hier keine Verbindung fand, fuhr er mit dem Rezept durch die halbe Stadt, um es schlieÃlich in einer gut besuchten Apotheke einzulösen.
Wie die Mutter dennoch dahinterkam, fand Willem nie heraus.
Er schien ein lausiger Detektiv, und schlimmer: Die Mutter gab ihm eine Ohrfeige und verstieg sich zu Schande. Und zugleich machte sie Kronhardt Vorhaltungen, weil er nichts gegen die Dirnenhurerei des Bengels unternommen habe â einen Parvenü nannte sie Kronhardt, der sich an toten Schmetterlingen ergötze und an diesen nutzlosen Schaukämpfen. Während sie selbst jede freie Minute in die Firma stecke. Die Mutter machte eine richtige Szene, und Kronhardt schlug sich sofort auf ihre Seite. Er rief Schande, er rief Entartung, und dann fielen sie gemeinsam über Willem her. Unsere Familie! Und Weicher Schanker! Und ob Willem was dazu sagen wollte, interessierte nicht. Eine Hure! Und womöglich hatte er dieser Schlampe noch ein Gör gemacht â einen Bastard! riefen sie und schienen bis in ihre Grundfesten erschüttert.
Und so hielten sie ihm das Firmenemblem unter die Nase: &Sohn! &Sohn! &Sohn! Sie waren auÃer sich. Alles, wofür sie gelitten hätten â und ob er sich das überhaupt vorstellen könne: gelitten, und die schönste Zeit ihres Lebens, alle Hoffnung ausgemerzt. Und kaum hätten sie sich aus diesem Abgrund, aus dieser Stunde Null heraus wieder ein wenig Linderung erschuftet, kaum verspürten sie in sich die zarte Fähigkeit zu heiteren Empfindungen â zu einem Glauben an Familie und Zukunft, da käme er, Willem, und reiÃe mit seiner verräterischen und schändlichen Art alles mit einem Schlage wieder ein. Nein! riefen sie. Aus und vorbei! Wenn Willem ihre Opfer mit Verrat und Schande quittiere, dann könnten sie auch anders. Jawohl, sie hätten einen Fehler gemacht und die neuen Zeiten unterschätzt. Ihm zuviel Freiraum gelassen; sie wären gütig und milde gewesen und hätten sich noch gegen die Stimme aus ihrem tiefen Herzen taub gestellt, die stets gewarnt habe vor den aufrührerischen Strömungen der Zeit. Diese perfide, marxistische Unterwanderung! Doch jetzt sei SchluÃ. Aus und vorbei. Solange er noch keine einundzwanzig sei, würden sie mit allen Mitteln gegen seine Entartung steuern. Seine Freizeit wurde gestrichen, seine Vergünstigungen wurden gestrichen, und Arbeit, riefen die Alten. Arbeit! Arbeit!
Willem war erschrocken, wie plötzlich die wunderbaren Ausdehnungen seiner Welt zusammenstürzen konnten. Als hätten seine Erfahrungen auf der Wurt oder im Ochsenkrug keine Bedeutung; als gäbe es tatsächlich nur diese eine Sicht der Alten und seine eigene Zukunft wäre unumgänglich an diesen Blick gekoppelt.
Und noch seine grundlegendsten Erfahrungen schienen plötzlich bedeutungslos, und es war egal, ob die Alten wuÃten, wer da tatsächlich in ihm drinsteckte, oder nicht. Sie rissen noch seine geheimste Welt ein, sie zwängten ihn in ihre Welt, und er konnte nichts dagegen tun.
Schlosser wuÃte bereits Bescheid. Der Schanker hatte auch einige Bauern erwischt, und zuerst wollte es noch jeder verheimlichen. Aber dann kamen sie dahinter, wie umtriebig Irene gewesen war, und stellten sie bei der dicken Helga zur Rede. Doch Irene in ihrer quirligen Art drehte den Spieà um: Wie die Bauern ständig geglotzt hätten, ihr heimlich Geld zugesteckt hätten und ihr schlieÃlich an die Wäsche gegangen wären. Und den Schanker, damit das mal klar sei, habe sie sich von den Kerlen geholt; jawoll, sie wisse ganz genau, wer regelmäÃig nach Bremerhaven fahre und sogar nach Sankt Pauli. Da beiÃt die Maus keinen Faden ab, sagte Irene. Und darum sollten die Bauern sich mal an ihre eigenen Nasen fassen, und gar nicht auszudenken, wenn alle Welt davon erfahren würde.
Also berieten die Bauern und beschlossen, Irene eine Sulfonamidkur zu bezahlen. Plus ein doppeltes Monatsgehalt, wenn sie aus der Gegend verschwand.
Jetzt sucht die dicke Helga ne Neue, sagte Schlosser. Die werden wir uns
Weitere Kostenlose Bücher