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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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eine Paukeranalyse und zerlegten diese Menschen in bestimmte Eigenschaften und Merkmale, damit Gisela das notwendige Gespür dafür entwickeln konnte, wie sie tickten und auf welche Art und Weise sie ihren Stoff rüberbrachten. Die Jungs gingen von der Unfähigkeit der meisten Lehrer aus, Wissen so zu vermitteln, daß es in zwei Dutzend Köpfen hängenblieb; die meisten von ihnen interessierte es nicht, daß jeder einzelne Kopf unterschiedlich funktionierte, und wer ihnen nicht folgen konnte, wurde selektiert. Also zerlegten die Jungs diese Art der Lehrer und forderten von Gisela, ihren Blick rein auf die Informationen zu schärfen. Hinter jedem einzelnen gab es diese Ebene ungetrübter Informationen, und mit dem Wissen, wie dieser Mensch tickte, konnte Gisela den Stoff für den eigenen Kopf zugänglich machen. Eine Art Übersetzen, meinten die Jungs, und so trafen sie sich regelmäßig in Schlossers Dachzimmer.
    Sie diskutierten die Paukeranalysen, verglichen ihre Notizen, lasen in Büchern, verknüpften lose Enden und hielten ihr Wissen formbar; sie rauchten die Luft blau, und sie schweiften ab. Manchmal stichelten Willem und Schlosser, bis Gisela auf sie losging, und später saßen sie da und lachten. Manchmal versank Gisela auch einfach im Sessel, hielt die Augen geschlossen, und ihr schöner Körper wirkte zahm. Doch aus dem Nichts konnte sie wieder aufspringen, feuerte gegen ihre Eltern, gegen die Lehrer und die Welt, und dann stichelten die Jungs, bis das Mädchen wieder auf sie losging.
    Auch wenn Gisela ihre Empörung gegen einzelne Lehrer nie ganz unterdrücken konnte, setzte sie die Methoden der Jungs erstaunlich gut um. Sie verbesserte ihre schriftlichen Noten, sie faßte endgültig Vertrauen zu Willem und Schlosser, und einmal kamen ihr sogar aus lauter Freude über eine gute Note ein paar Tränen. Es war nach der Schule, sie saßen bei Macciavelli, und Gisela schämte sich sofort dafür. Sie schneuzte sich und sah die Jungs herausfordernd an. Doch als sie schwiegen und ihr noch aus diesem Schweigen heraus Respekt entgegenbrachten, wurde Gisela unsicher, und bald rollten ihr wieder die Tränen. Schlosser nahm sie schließlich in den Arm. Und er hielt sie noch, als Willem die Rechnung beglich und ging.
    Schlosser beendete die Beziehung mit der dicken Helga, und wenn er mit dem Teleskop hinausfuhr, saß jetzt immer öfter Gisela auf dem Sozius. Das Äquinoktium verbrachten die beiden im großen Megalithgräberfeld der Wildeshauser Geest, umgeben, wie Schlosser später erzählte, von Trilithen und Hippies. Und er konnte das neue Wort auch gleich erklären: Hippie, abgeleitet aus dem englischen to be hip, eingeweiht oder angesagt sein.
    Ã„ußerlich machte Schlosser wenig Zugeständnisse an diese neue Kultur. Immerhin ließ er sich zu einer studentischen Brille überreden, ein schwarzes Modell, und manchmal trug er das Haar nackenlang, oder seine Koteletten verwilderten. Gisela dagegen kannte die eingeweihten Läden, Gisela wußte, was angesagt war. Afro-Look, Folklore – alles, was den Ekel gegen die gescheitelten Eroberer offenbarte und den Weg zurück zur Natur wieder ebnete. Anfangs ging es ihr darum, Kategorien aufzubrechen und in einem friedlichen Prozeß die Gesellschaft von innen nach außen wieder ursprünglich zu formen. So verweigerte sie sich bald bis hinein ins Wurzeldeutsch, sie legte sich einen Jargon zu, um damit neue Begriffs- und Denkdimensionen zu installieren. Doch mit der Zeit wurde sie radikaler und begeisterte sich an der großen Verweigerung des Establishments und an dem Kampf gegen seine Repressionen. Sie nahm Drogen, ging auf Rockkonzerte und Sit-ins, und mit Schlosser wollte sie offensiven Sex. Sie marschierte für eine antiautoritäre Gesellschaft, für irdisches Glück, und sie war bereit, ihre nackten Brüste für den Weltfrieden einzusetzen. Sie agitierte mit dem Megaphon, sie spürte die Macht hinter der Sprache und die Möglichkeiten der Stimme, und wenn sie davon erzählte, fühlte sie sich berufen wie einst Johanna von Orléans.
    Doch Willem und Schlosser waren skeptisch. Wo Gisela sich bald nicht mehr scheute, das Wort Revolution durch ihr Megaphon auszurufen, fiel es den Jungs schwer zu erkennen, was auf tatsächliche Zerschlagung oder Umwälzung einer alten Weltordnung hinwies.
    Schlosser hielt es für keine übermäßige Sache,

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