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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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Metermaß; er schob die Rolleiter durch die kolonnadenhaften Gänge, blieb vor den numerierten Fächern stehen und kletterte hoch, während er ihre Augen im Rücken spürte. Sie gab ihm Anleitung zum Tasten, und er unterschied Kaschmir von Merino oder Donegal von Harris. Sie zeigte ihm, wie sein Jackett sich elektrostatisch auflud, und er machte eine Bemerkung zu ihren Strümpfen, aber es gelang ihm nicht, die Marke zu erraten. Nach dem Kaffee wendete er das Schild in der Tür und stand neben ihr, als sie von außen abschloß.
    Das vorausgesagte Hoch war angekommen, die Wolken zogen nach Westen ab, und über ihnen der Herbsthimmel leuchtete in klaren Farben. Sie schlenderten Richtung Fluß, sie stießen einander zarten Atem gegen die Haut, und rings die Stadt schien nicht zu existieren.
    Zum Sonnenuntergang saßen sie auf einer Bank, und Frau Focke rauchte. Ein paar Möwen jagten einander Brot ab, und Willem gefielen die Manöver. Der Zustand in der Atmosphäre wirkte stabil, keine Faktoren, die unberechenbar wechselwirkten, und der Rauch ihrer Zigarette stieg senkrecht. Sie sahen den halben Mond, eine Schute zog vorbei, und die Pfützen um die Bank waren Löcher, aus denen eine andere Welt leuchtete. Willem hatte das Gefühl, sie könnten jederzeit durch eins dieser Löcher verschwinden, um in einem anderen Universum wieder aufzutauchen. Er fand es unglaublich, neben Frau Focke zu sitzen, und alles, was er bislang an starken Gefühlen kennengelernt hatte, erschien ihm plötzlich klein. Sogar sein Urerlebnis mit Constanze – als setzte nun Frau Focke ein neues Maß und potenzierte alles Starke aus der Vergangenheit mühelos.
    Die Alten hatten ein Bad in die Junggesellenbude ziehen lassen. Braunes und cremefarbenes Sanitär, absolut modern, und wenn Willem eines Tages auszog, hätten sie immer noch etwas Zeitloses.
    Willem stieg aus der Wanne. Aus dem Kofferradio spielte ein Cembalokonzert von Bach, und die Musik waberte in der schwülen Luft. Er schnitt die Fußnägel, feilte an den Fingern; rasierte sich, verrieb ein bißchen Franzbranntwein und war begeistert, wie sich die Bachsche Mathematik durch den Äther schwang, um sich jenseits seiner Ohren in unglaubliche Musik zu verwandeln. Er kämmte das Haar zurück, entdeckte einen Pickel auf dem Nasenflügel, und im Grunde war die Verwandlung der Bachmusik eine wunderbare und endlose Reise: aus Schichten und Windungen des Thomaskantors durch Zeit und Raum, ein Chamäleon der Hoffnung, Sehnsucht und Liebe. Und Willem spürte das Basso continuo und die durchdringende Leidenschaft der Fingerspitzen auf den Tasten, als hätte die barocke Seelenverwandtschaft wie ein Urknall eingeschlagen. Als hätten sie schon ewig gemeinsame Wurzeln, und er konnte nicht genug von ihr kriegen: Barbara. Das Verlangen nach ihrer Nähe schien eine Kette endloser Verschmelzungen zu sein, und so stand er vorm Spiegel, und Talg flutschte aus dem Pickel. Barbara. Er fand es unglaublich, wie vertraut sie ihm bereits nach so kurzer Zeit erschien. Barbara, und aus dem Kofferradio explodierte das Cembalo, eine wunderbare Schöpfung, die, einmal rausgelassen, einmal entfesselt, nie mehr zu bändigen war. Ein Ritt auf den Pilzwolken von Bikini, und die Schallwellen in der cremefarbenen Luft würden ebenso in Barbara dringen – entlang der wechselnden Färbung und zarten Windungen ihrer Muscheln, bis ins tiefe, reine Ich dieser Frau. Und auch seine eigenen Worte waren in sie gedrungen – unglaublich, diese Vorstellung, und feinkörnig und flirrend zuletzt wie die Bachsche Musik. So stand Willem im Dampf, so sah er sein Spiegelbild. Stutzte die Koteletten, schnitt Haare aus der Nase, und das Verlangen nach Sex mit Barbara schien beinah nebensächlich. Weil Sex mit ihr wunderbar gebettet schien in einen viel größeren Akt, und zuletzt ging er ran und stutzte noch das Schamhaar. Ein wilder und zotteliger Wuchs, wie er fand, und es war ein gutes Gefühl, daß er einen Blick dafür entwickelte.
    Sie waren im Käfer ins Rotenburgische gefahren. Willem hatte die einst vertraute Strecke genommen, die Landstraße über den Geestrücken nach Osten, und dann war er ohne weiteres am Hof der Dressurreiterin vorbeigefahren. Haus und Stallungen lagen abseits, in wellige Felder gebettet, und nach hinten, vor einem herbstlichen Gehölz, war die ausgedehnte Koppel. Linsenförmige Wolken zogen

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