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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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Sammler, die durch Asien und Europa streiften; sie machten Feuer, sie erkannten Zusammenhänge in der Natur und behaupteten sich in den unterschiedlichsten Lebensräumen.
    Es war gewissermaßen eine Erfolgsgeschichte. Auch wenn es endlos viele andere Beispiele dafür gab, wie das Leben erfolgreich auf neue Umstände und Anforderungen reagieren konnte.
    Beim Menschen aber waren es maßgeblich die Fähigkeiten des Kopfes, die Fell, Muskeln oder irgendeine andere Spezialisierung bald überflüssig machten. Und weil die Entwicklung des Lebens so organisiert war, daß Vorteile begünstigt wurden, verfeinerten sich die Fähigkeiten des Gehirns immer weiter. Und die Menschen mit diesem Gehirn hinterfragten und kombinierten immer mehr; Sonne und Sterne nahmen Platz ein in ihrem Leben, und in einigen Gegenden stellten sie fest, daß Tageslänge und Klima stabil blieben und der Boden fruchtbar war; sie entdeckten, daß bestimmte Pflanzen noch besser wuchsen und ertragreicher wurden, wenn man sie pflegte, daß es Wildtiere gab, die sich an den Menschen gewöhnten, und aus solchen Erfahrungen entwickelten sie die Uridee vom Zuhause. Bislang waren sie immer wieder mit den Jahreszeiten und Herden unterwegs gewesen; immer wieder mußten sie ihre Bündel packen, und Wanderung und Jagd kosteten viel Kraft und waren gefährlich für alle.
    Wenn sie aber ein Zuhause hätten, gewissermaßen einen sicheren Platz mit verläßlicher Nahrung vor der Höhlentür, könnten sie Kraft und Zeit auf etwas Neues verwenden.
    Der Lehrer schrieb das Wort an die Tafel: Kultur. Und mit dem Stock zog er auf der Weltkarte vom Mittelmeer ostwärts und markierte ein Gebiet, das er den fruchtbaren Halbmond nannte. Dort war es den Menschen zum erstenmal gelungen, sich ein Zuhause zu erschaffen. Mit Wildgräsern betrieben sie ersten Ackerbau, wilde Schafe wurden die ersten Haustiere, und alles, was heute so selbstverständlich erschien, entwickelte sich aus dieser neuen Lebensform. Gemeinsame Sprache und Religion, Städtebau und Straßen, Handwerk und Politik, Wissenschaft und Kunst. Und mit ihrem Gehirn verschafften sich die Menschen immer mehr Vorteile; die ganze Energie, die sie seit Ewigkeiten ins Sammeln, Wandern und Jagen gesteckt hatten, schien plötzlich zu explodieren. Sie teilten die Arbeit auf, einige spezialisierten sich auf dies, andere auf das, sie verschafften sich immer mehr Zeit und Raum für neue Ideen und neue Spezialisierung, die Städte wuchsen und Staaten entstanden, die kontrolliert und gelenkt wurden. Bald gab es Kriege und Unterwerfungen, bald verfeinerten sich die Methoden zur Macht, und kaum hatte sich also aus der Seßhaftigkeit Kultur entwickelt, waren auch schon die despotischen Strukturen da, um die eben noch freien Clans der Jäger und Sammler zu einer lenkbaren Masse zu bündeln, die nur noch den Herrschern Vorteile brachte. Gewalt, sagte der Lehrer, Terror und Religion. So daß unsere modernen Gesellschaftssysteme im Grunde uralt sind. Und der Stock tanzte noch mal und markierte den Halbmond. Dort also lag die Wiege unserer modernen Kultur und breitete sich aus über die ganze Welt. Und man konnte vermuten, daß sich diese Art einer Unterwerfungskultur auch aus einer anderen Keimzelle ausgebreitet hätte, aus Europa, Mexiko oder China, denn wo immer der moderne Mensch erschien, erschienen auch Gewalt, Terror und Religion.
    Ob diese menschliche Entwicklung aber zwangsläufig war, weil auch das menschliche Gehirn dem Leben untergeordnet und die Entwicklung des Lebens an sich so organisiert war, daß Vorteile begünstigt wurden, konnte der Lehrer nicht sagen. Vielleicht gab es auch einmal eine Zeit, in der das menschliche Gehirn im Vorteil eine andere Bedeutung sehen konnte; eine Zeit, in der Macht über andere und Reichtümer nichts waren und Frieden und Glück der Gesellschaft alles. Der Lehrer wußte es nicht, doch er war sicher, daß der moderne Mensch keine gottgewollte Vollendung darstellte. Daß er vielmehr gebunden war an das Driften der Schollen, an Eiszeit oder Rückzug der Wälder, und daß Gott zuletzt nur eine menschliche Idee war. Daß Gott entsprungen war aus den Verfeinerungen des menschlichen Gehirns und daß er so diesem Gehirn in seinem Drang nach Macht dienstbar wurde.
    Willem mochte den Erdkundelehrer. Hinter seinen Worten trieben Fossilien und Kohlewälder in Lebendigkeit aus, seine Worte

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