Kronhardt
Zeitung, die die Atomkraftgegner zu den neuen Terroristen machte. Er sah einmal hervor, die Gäste drehten sich um, und als Willem und Barbara in einer Ecke Platz genommen hatten, war alles wieder wie vorher. Ein Radio lief, an der Wand hing ein Sparkasten, und am Stammtisch wurde diskutiert.
Als der Wirt ihre Bestellung aufnahm, kamen sie erst gar nicht auf exotische Ideen; er brachte das Pils gepflegt in einer Tulpe, und die Korngläser waren korrekt gefüllt. Dann saà er wieder hinter seiner Zeitung.
Und jetzt?
Wir trinken, sagte Willem.
Vom Stammtisch her hörten sie die Diskussion. Es ging um ein Satiremagazin, das mit einem skandalösen Titelbild aufgemacht worden war. Auf dem Photo war ein Stück StraÃe zu sehen, Absperrungen, Polizei. Der Asphalt war mit Kreide markiert, die Umrisse zeigten eine Birne, und daneben war ein Schild in den Boden gerammt: Das Attentat! Und am Stammtisch konnten sie es nicht glauben. Auf was für eine ungeheuerliche Art sich diese Linken über den neuen Bundeskanzler lustig machten.
Willem sagte: Du unterschätzt meine Mutter. Sie schlägt sich auf deine Seite, um Informationen zu bekommen, mit denen sie dich dann aushebeln kann. Wenn sie deine Favoriten kennt, weià sie, wie sie ihre Favoriten besser machen kann.
Du unterschätzt sie auch. Sie ist eine gute Geschäftsfrau und hat ein Händchen fürs Personal.
Sie will vor allem Personal, das sich nicht auf unsere Seite schlägt. Typen wie diesen Laschek. Und auch diese Seidenberg. Kessler ist eine graue Maus; ein Zugeständnis an uns.
Barbara nickte. Dann sagte sie: Und was machen wir?
Wir drehen den Spieà um. Wir bringen unsere Leute durch. Jetzt erst recht.
Barbara gab dem Wirt Zeichen für eine neue Runde. Sie streichelte Willem, küÃte ihn und sagte: Striebeck, Bloch und Garbarde. Das sind unsere Leute, und in der Reihenfolge.
Bloch zuerst. Dann Striebeck.
Nein.
Dann knobeln wir.
So saÃen sie in einer Eckkneipe, tranken, und ihre Leute waren drei Frauen, die sich auf ihre Seite schlagen würden. Zwei von ihnen wollten sie gegen die Alten durchbringen. Egal, wie, sagten sie, und das Bier war gepflegt und der Korn eiskalt.
39
Barbara trug Sonnenbrille und dünne Handschuhe. Sie fuhr schnell, wechselte die Spuren, und als sie eine Zigarette anglühte, zitterten ihre Finger.
Willem sah die Stadt in die Windschutzscheibe fallen; Schlieren, nichts Haltbares. Und zugleich spürte er einen steigenden Druck im Käfer; als säÃe er in einem Bathyskaph, und die Erinnerungen verdichteten sich in der Tiefe.
Barbaras Handschuhe waren gelocht; sie schaltete runter, zog bei Gelb über eine Kreuzung, und die Welt rauschte an der Kabine vorbei. Die nächste Ampel brachte den Käfer zum Stehen, der Motor lief hochtourig, die Vibrationen stiegen durchs Lenkrad und erfaÃten noch Barbaras Gesicht. Als sie anfahren wollte, hakte der erste Gang, dann gab es Fehlzündung.
Willem blickte weiterhin durch die Windschutzscheibe. Die einfallende Stadt verschmierte mit den Bildern aus seinem BewuÃtsein; Erinnerungen, meinte er. Zündungen und Rückzündungen, die den Zustand unter seinem Schädeldach veränderten, die einen anderen Blick erschufen, neue Räume, in denen Vergangenheit und Gegenwart ineinander übergingen. So zogen die Schlieren vorbei, verdichteten sich und feuerten unter dem Schädeldach. Und als der Käfer erneut fehlzündete, meinte er den Rückstoà zu spüren. Beinah wie damals, als er und Schlosser auf der Brennhexe gesessen und sie die Kraft gespürt hatten gegen die Widerstände im Raum; als sie durch die Marsch gezogen waren, durch Storchendörfer bis in den Ochsenkrug. Später dann hatte Gisela auf dem Sozius gesessen. Sie hatte für die Sache gekämpft, war ins Visier der Geheimdienste geraten, dann der Feldwebelmord, und Willem hatte nie erfahren, ob die Geheimdienste sie nach dieser Tragödie weiter unter Beobachtung hielten. Auch nach der nächsten Tragödie war nicht viel herausgekommen; Patrizia war tot, und es gab nichts Ãffentliches über das Ahab-Kommando und keine Begründung für diese Zurückhaltung. Willem konnte nicht sagen, wo Geheimdienste ihre Finger im Spiel hatten und wo nicht; womöglich installierten sie ständig Weltbilder, malten Kreidebirnen auf den Asphalt, schürten den Haà gegen die Linken, und der Kanzler und die Lobbyisten sahen dabei zu und
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