Kronhardt
zogen daraus ihre Schlüsse. Vielleicht operierten die Geheimdienste auch schon in Bereichen jenseits seiner Vorstellung, vielleicht entwickelten Eigennutz und Bosheit bereits eine Fernwirkung, die die Welt grundlegend veränderte. Oder das, was die Welt sein könnte. Oder das, was man als Zustand unterm Schädeldach wahrnahm. Willem wuÃte es nicht. Und Barbara lenkte den Käfer, rauchte schweigend, und die Fenster waren geschlossen. Als sie den Blinker setzte und abbog, stach unvermittelt die Sonne zwischen zwei Häusern hindurch.
Das Bild verblieb wie ein Abdruck in Willem, und noch wenn er die Augen schloÃ, trieb es dahin, brannte auf, dunkelte und stand wieder im Fokus. Er sah die Cellistin daraus aufsteigen; nackt von einer Zimmerdecke, und ihr Haar fiel nicht herab. Er konnte nicht sagen, ob die Cellistin damals tatsächlich nackt gewesen oder ob es nur ein Wunsch war. Und wenn es ein Wunsch gewesen war, konnte er nicht sagen, ob es ihn damals nach ihrer Nacktheit verlangt hatte oder gerade jetzt.
Barbara schaltete runter und bremste vor einem Zebrastreifen.
Er öffnete die Augen. Hinter der Windschutzscheibe sah er ein Paar die StraÃe queren; sie trugen Latzhose und Sandalen, und Willem erkannte, daà der Mann ein Bündel auf dem Rücken trug. Ein Säugling womöglich in einem Tragetuch, und Willem überlegte, ob sein eigenes Leben anders verlaufen würde, wenn Hector Luna damals die Tochter getragen hätte und statt seiner Frau in den Schuà geraten wäre.
Als Barbara wieder anfuhr, hatte er keine Antwort auf diese Frage gefunden. Die Stadt fiel in die Scheiben, über der Stadt stand blauer Himmel, und die Voyager-Sonden hatten wahrscheinlich schon Saturn passiert und waren auf dem Weg, die Bahnen von Uranus und Neptun zu kreuzen. Und die Russen? Und der Georgische Schädel? Willem wuÃte es nicht. Aber er wollte daran denken, bei Gelegenheit wieder Gladiolen für Patrizia zu besorgen.
Barbara setzte erneut den Blinker. Die Sonne verschob sich im Käfer, und er sah die Tränenspur auf Barbaras Wange.
Sie war eine schöne Frau. Auch jetzt. Eine Frau, die ihn anzog und reizte, und er spürte das Durchdringende ihrer Verbundenheit. Die Tiefe wie in einem Bathyskaph.
Dann scherte sie ein. Zog den Schlüssel ab, schob den Ascher zu.
Sie lieà die Sonnenbrille auf, zog auch die Handschuhe nicht aus.
Geh du vor, sagte Willem.
Sie gab ihm einen KuÃ.
Er hielt sie noch einmal, schob ihr die Brille hoch und wischte sanft über die Tränenspur.
Die schmale StraÃe mit dem Kopfstein erschien ruhig, und als sie auf das Haus der Alten zuging, hallte ihr Schritt.
Willem kurbelte die Scheibe herunter. Ãber den Altbremer Häusern stand der Himmel wolkenlos. Er dachte an Juri Gagarin. Er dachte an seinen Vater. Und am Hartmann-Haus war noch der Schriftzug angebracht, als wäre hier die Zeit einfach stehengeblieben: Kronhardt&Sohn Maschinenstickerei.
Am Morgen nach ihrem letzten Besuch wurden sie vom Telefon geweckt. Es war noch viel zu früh, und sie hatten das Klingeln ignoriert. Doch es war wiedergekommen, hartnäckig und in immer kürzeren Abständen, und Barbara war schlieÃlich an den Apparat gegangen. Die Alten hatten um eine Fortsetzung der Verhandlungen gebeten, und Barbara war besonnen genug gewesen, auf einen neutralen Ort zu bestehen. Sie hatten sich auf das Parkhotel geeinigt.
Danach war Barbara wieder ins Bett gekommen. Sie hatten sich beide vor dem Sonnenlicht verkrochen, doch das Gift und die Alten waren ihnen auch dort aus ihrem Organismus bis durch die Poren gebrochen. Sie hatten Sex gehabt, weil sie hofften, sich danach besser zu fühlen. SchweiÃig und stinkend, mit dröhnenden Herzen, und ihre Zungen waren pelzig gewesen und kaum zu kontrollieren, so daà sie gewürgt hatten, als säÃen die Alten ihnen fest in den Eingeweiden.
Nachmittags hatten sie die Alten getroffen, und obwohl sie an einem lichten Platz in der Orangerie gesessen hatten mit Blick auf die Wasserspiele, hatte Willem sich auf Anhieb beengt und wie in einem miefigen Spalt gefühlt. Barbara hatte ihre erste Zigarette geraucht, und er konnte zusehen, wie ihr schwindelig wurde.
Vor allem die Mutter hatte sich offen gegeben und für ein konstruktives Bündnis ausgesprochen. Doch Willem hatte geahnt, daà sie längst von dem Besäufnis wuÃte; ob zufällig oder durch ihre geisterhafte Fernwirkung, konnte er
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