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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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hatte sie begründet, warum vor allem Blochs Vergangenheit ein Risiko darstelle. Bloch sei aus der DDR ausgebürgert worden. Eine Dissidentin, und für die Mutter stünde es außer Frage, erst einmal den Hut vor dieser Frau zu ziehen. Sie selber sei Emigrantin und wisse um die unglaubliche Kraft hinter so einer Haltung; doch sie wisse auch um die Gefahren – gerade Dissidenten aus der Ostzone, hatte sie gesagt, und daraus geschlossen, daß Bloch so integer sein könne, wie sie nur wolle: Wenn sie ihr von drüben Spitzel aufsetzten, wäre auch das Geschäft nicht mehr sicher, und sie zeigte Fälle von slawischer Gerissenheit auf, die ihre Sorge mehr als berechtigt machten.
    Barbara hatte einen schmerzhaften Ausdruck im Gesicht gehabt, und vielleicht war es auch der Kater gewesen, in dem alle Schärfe und Schnelligkeit ihres Geistes verfing. Und so war sie aufgestanden, hatte den Kopf schwer geschüttelt und war an die Scheiben getreten. Hatte auf die Wasserspiele geblickt, und Willem hatte der Mutter gegenübergesessen. Und dann war es ihm durch die Hände gebrochen. Angetrieben noch von Pils und Korn aus der Eckkneipe. Und es war über Porzellan und Kuchen geschwappt, und noch die Mutter hatte ein paar Spritzer abgekriegt.
    Willem saß noch immer in der Kabine, als Barbara zurückkam. Sie glitt hinters Lenkrad, und als die Glühspirale rausgeschnalzt war, zog der Rauch auf Willems Seite gegen den Himmel. Ihre Augen standen starr hinter der Sonnenbrille, manchmal knisterte der Tabak.
    Willem sah die Welt hinter der Windschutzscheibe. Die Alten hatten es nie fertiggebracht, die handgeschmiedeten Buchstaben von der Fassade zu nehmen. Er wußte nicht, bis wann sie noch gehofft hatten, daß er in ihrer Nostalgie aufgehen würde. Er wußte auch nicht, ob diese Hoffnung ihn anrühren konnte. In ihm löste dieser Schriftzug einfach nur einen Zustand aus: zurück aus kentaurischen Welten, absatteln und den schmalen Heckenweg runter; der Gang durch die Produktion, das Rattern der Jahrestage, und dann durch die Tür mit der Fraktur; vorbei an den sauber aufgehängten Kitteln, die Wendeltreppe bis zur Mutter, die bereits hinterm Schreibtisch wartete. Das Urteil sprach und Zeit herausschnitt.
    Barbara saß neben ihm und rauchte.
    Ãœber dem Seitenfenster stand ein Streifen Himmel, und mit seinem Rad war er damals gezogen wie Juri Gagarin; wie jetzt die Voyager-Sonden. Er konnte nicht sagen, ob die Welt sich durch solche Reisen weitete; ob sie ohne Ablaß aus sich herausdrängte und Möglichkeiten um Möglichkeiten hervorbrachte. Oder ob andersherum die Welt in sich hineinfiel und die Möglichkeiten in immer mikroskopischeren Sprüngen bündelte, so daß sich zuletzt noch der Kosmos in einem Atom offenbaren konnte.
    Die Welt im Fingerhut, dachte er, und Barbara schob den Ascher zu.
    Sie ließ die Brille auf, und ihre Hände waren kalt unter dem gelochten Leder.
    Wo sind sie?
    Oben.
    Ich komme gleich. Er strich über ihre Wange, und dann sah er zu, wie sie wieder bedächtig gegen das Haus zog.
    Zweiter und dritter Stock waren im April 44 zertrümmert worden, und Willem war das Gefühl nie losgeworden, daß die weggebombte Masse noch immer da war. Sein ganzes Leben hatten die Phantome aus Stockwerken und Geschichte seltsam auf ihm gelastet, und noch Wände und Möbel hatten ihn bedrängt. Er hatte sich stets geschrumpft gefühlt in diesem Haus, während die Mutter mit ihrer Turmfrisur übergroß erschienen war; noch heute konnte er die Höhe ihres Unglaubens spüren, ihren Blick und auch ihren Busen, der ihn gesäugt hatte.
    Als er aus dem Käfer stieg, lag die Stadt im Frühlingslicht. Die Kastanien trieben, in einer Brise wehte ihr feiner Duft. Vögel sangen, die Melodien überlagerten, und Willem war erstaunt über die Weite ringsherum; die Leichtigkeit plötzlich, die sich auftat, als wäre er aus einer Taucherkugel gestiegen.
    Er hatte das Verlangen, einfach stehenzubleiben; die Sonne zu spüren, sich vom frischen Rauschen erfüllen zu lassen, dem Gesang. Diese Freude am Leben. Wie damals mit dem Vater.
    Durch den Türspalt fiel Licht; er roch das Stearin und seltsame Süße.
    Die Stühle standen ums Bett, Kronhardt hielt die Hand seiner Frau.
    Barbara saß gegenüber; im Kerzenlicht das Gesicht der Mutter.
    Ein Mal hatte er sie schön gefunden; nicht begehrenswert, sondern selbstlos

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