Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
Vom Netzwerk:
das Freiwild, und so zogen die weißen Jäger ihre Kapuzen über und schlugen ihre Kreuze in den Boden. Ein gottgegebenes Recht zum Töten, und wer daran rüttelte, wurde automatisch zum Feind des aufrechten amerikanischen Bürgers.
    Wie durchfressen die USA von ihrem Rassenhaß waren, wie tief der Fundamentalismus in der Seele des Landes steckte, das zeigte der jüngste Präsidentenmord. Nichtwahr, Kennedy hatte an der gottgegebenen Macht der Weißen gerüttelt, Kennedy wollte die theoretischen Grundwerte der Demokratie in eine Praxis für alle umwandeln. Und was? Wenn nicht in Dallas, sagte der Erdkundelehrer, hätten sie ihn woanders erledigt.
    Doch vielleicht hatten seine tausend Tage gelangt, den Schwarzen wieder ein bißchen Hoffnung zu geben, und tatsächlich waren es heute Männer wie Martin Luther King oder Malcolm X, die am Eingefleischten rüttelten; der Bodensatz der USA gärte, und wie Faulblasen trieben Ignoranz und Machtgefühl der Weißen gegen die Welt. Und das alte Europa, voran unser Deutschland, war jetzt in der Pflicht, diese Faulblasen der Geschichte ein für allemal aufzubrechen und für jene Menschen einzutreten, die sich gegen die brutale Willkür der Weißen erhoben. Weil jede pyramidische Rassenideologie schwachsinnig war. Weil es keine über- und untergeordneten Menschen gab und keine religiöse oder biologische Begründung dafür.
    Denn Rassen gab es nicht, weil irgendein Gott oder sonstwas dahockte und die einen besser machte als die anderen. Rassen gab es, weil Mensch und Tier sich auf unterschiedliche Lebensbedingungen einstellen mußten, und diese Anpassungsmerkmale, beispielsweise klein oder schlitzäugig, dunkelhäutig oder blond, wurden von Generation zu Generation vererbt, und so blieb Rasse immer eng daran gekoppelt, in was für einer Umwelt die Vorfahren gelebt hatten. Das Meer prägte die Gestalt der Menschen anders als die Berge, die Hitze anders als die Kälte, und in jeder Epoche konnten neue Einflüsse neue Merkmale hervorbringen. Und das galt selbstverständlich auch für die heutigen Zeiten, denn auch die modernen Großstädte mit ihren künstlich geschaffenen Bedingungen wirkten sich auf die Menschen aus und brachten mit der Zeit Veränderungen hervor.
    Rasse hatte also nichts mit guten oder schlechten Menschen zu tun. Auch nicht, wenn noch in der jüngsten deutschen Geschichte etwas anderes behauptet worden war und die Arier als Herrenrasse dargestellt wurden.
    In Wirklichkeit nämlich hatten sich vor dreitausend Jahren bereits Menschen im indisch-iranischen Raum als Arier benannt, und zwar als Angehörige eines Volkes, das Arisch sprach. Und heutzutage bezeichnete arisch nicht mehr als eine uralte gemeinsame Wurzel der Sprache – Deutsch, Französisch oder Russisch hatten sich also aus einer ehemals gemeinsamen Sprache entwickelt, und so waren Arier keine Rasse, sondern ein buntes Völkergemisch von Indien bis Nordeuropa, die sogenannten Indogermanen.
    Dann ließ der Lehrer einige Kinder vortreten und stellte sie nebeneinander. Einen Rothaarigen neben den dicken Siegfried, eine langgliedrige Hellblonde neben eine zarte Dunkle mit ausgeprägten Jochbeinen; zuletzt winkte er dem fremden Jungen, und so standen sie vor der Klasse: Gesichter und Gestalten mit Merkmalen, die sich weiter ausprägen und eines Tages vererben würden, und die Vorfahren dieser Kinder, sagte der Lehrer, hätten sich vor langer Zeit vermischt. In der Steinzeit, auf den Kultur- und Völkerwanderungen, und kaum jemand von uns wäre heute hier, wenn es diese Vermischungen nicht gegeben hätte. Ganz zu schweigen vom letzten Krieg.
    Niemand, sagte er, könne etwas dafür, daß er so sei, wie er sei. Und alle, Orientalen, Juden oder Indianer, alle hätten zuletzt einen Vorfahren, der aus Afrika stamme, und somit trage jeder, egal, ob er Neger sage oder nicht, das Blut dieser schwarzen Urmenschen in sich.
    Willem gefiel es, daß im Grunde alle Menschen gleich waren. Und das Erlebnis, wie der Erdkundelehrer diese Wahrheit in Worte faßte und diese Worte noch gegen den Rektor in tatkräftige Überzeugung umsetzte, beeindruckte ihn. Zugleich steckte aber auch etwas Trauriges hinter dieser Wahrheit; sie schien einsam gegen all die anderen zu stehen, die einen Jungen mit Hakennase einfach zum Neger machten. Vielleicht verhielt es sich mit der Wahrheit ebenso wie mit der Entwicklung

Weitere Kostenlose Bücher