Kronhardt
sie noch mal. Dein neuer Haarschnitt, sagt er, ist schön.
So zieht der Jaguar von der alten Stadtdüne auswärts; ein endloses Geflecht aus StraÃen und Lichtern, und rings von den Häuserfronten verschmieren die Epochen in der Geschwindigkeit. Der Sprühregen bricht die einfallenden Bilder, und die Wischer schwenken in festen Zeitabständen. Barbara hält die Tachonadel konstant; in einer S-Kurve können sie die Fliehkraft spüren, sie kreuzen die Eisenbahnlinie, und danach ziehen sie auf einer Geraden gegen aufsteigende Hochhäuser. Eine verlassene Tankstelle erscheint, ein Lager mit zerschlagenen Scheiben und dann die Auswüchse vom sozialen Wohnungsbau; der internationale Stil, mit dem einst auf den Bauherrentafeln geworben wurde, hat sich längst in den Alltag eingefleischt, und aus den Schluchten sehen sie den Halbmond leuchten, kyrillische Buchstaben oder eine Libanonzeder.
Die Autobahn liegt wie ein Grenzstrich gegen den hypertrophierten Stadtrand, und als sie von der Ãberführung ostwärts rollen, öffnet sich vor ihnen eine andere Welt. Ebene und Himmel scheinen in endloser Nacht verschmolzen, Barbara drückt aufs Gaspedal, und noch der Regen sprüht als dunkle Körnung gegen die Scheibe. Die Fahrbahnstreifen zucken, und im Lichtkegel ahnen sie die Wassergräben, die wie Gitternetze in den weiten Raum gestochen sind.
In der Kabine ist es warm, Willem sitzt eingesunken im knautschigen Leder, und aus den Boxen erhebt sich der Kastratensopran über das Cembalo, ein seltsam perverser Klangreiz, als wären Verstümmelung und Vergötterung gleichgeschaltet in endloser Nacht. So zieht der Jaguar gegen das Teufelsmoor, einmal erfassen die Lichter die Augen eines Tiers, einmal stechen sie vor einer Kurve in den tiefen Raum. Birken säumen bald die LandstraÃe, manchmal erscheint abseits ein Gehöft, und der Geruch schwerer Erde stöÃt in die Heizungsluft. Sie queren ein FlüÃchen, Reitfelder flackern, dann steuert Barbara nordwärts. Die Dörfer liegen entlang der schmalen StraÃe, meist sind es nur wenige Häuser, und manchmal lassen Fachwerk und Schilfdach die Zeit vergessen. Als die Musik durchgelaufen ist, sagt Willem: Gehts gut mit Inéz und Hector?
Barbara hat die Hände am Steuer und sieht voran. Erzählt er dir nichts?
Doch.
Dann sieht sie ihn an. Warum fragst du dann?
Vielleicht erzählt Inéz dir was anderes.
Sie erzählt mir, daà Hector ein sehr respektvoller Mann ist. Daà sie sich fallen lassen kann und daà ihre Welt sich mit ihm verändert.
So zieht der Jaguar durch die Niederung; die dunkle Welt zerstäubt auf der Scheibe, und dieser Eindruck wird regelmäÃig von den Wischblättern aufgebrochen. Bald erscheint linker Hand der Wümmedeich, und die StraÃe folgt seinen Windungen. Einmal sehen sie die Autobahn, ein leuchtender Spalt, der das Land durchzieht, und jenseits, auf der Dünenkette, bricht das Pilzleuchten gegen den Himmel. Die feuchten Asphaltgeräusche und auch der Motor sind kaum zu hören. Als sie an die BundesstraÃe stoÃen, bremst Barbara ab. Willem sitzt weiterhin eingesunken im Leder; sie streichelt sein Gesicht, gibt ihm einen KuÃ, und als die Bahn frei ist, überquert der Jaguar die Kreuzung.
Nach Norden hin steigt das Land, und die Scheinwerfer erfassen die Eiszeitspuren; bald ziehen sie auf der Chaussee dahin, durchschneiden einen Laubwald, und wie in einer Bilderreihe werden die Stämme periodisch vom Lichtbündel erfaÃt. Der Motor tourt, gelegentlich drängt ein Acker gegen die Nacht; sie nehmen die Anhöhe mit dem alten SchloÃ, die Senke mit den Auwaldresten, und dann, aus einer Kurve heraus, die wieder aufwärts führt, setzt Barbara den Blinker und biegt ab. Auf der nun schmalen und dunklen StraÃe schaltet sie bis in den Dritten, dann flammen die Bremslichter, und unter ihnen knirscht der Kies. Die Eichen gleiten durch die Frontscheibe, das Reetdach und die weiÃgetünchten Mauern des Landhauses.
Am nächsten Vormittag hat der Alte die Reedersgattin zu Besuch. Sie hat den Besitzer einer Yachtwerft mitgebracht, und Willem entscheidet, ins Hartmann-Haus zu gehen.
Es ist kein schönes Gefühl, heimlich dort zu sein. Die Gerüche bedrängen ihn, Möbel und Wände, und als er anfängt zu suchen, ist es, als bündelte sich die geisterhafte Fernwirkung seiner Mutter noch einmal mit voller Wucht.
Zurück
Weitere Kostenlose Bücher