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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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Mexikaner so sind. Händler riefen Plüschleichen aus oder bedruckte T-Shirts, bei einem Photographen konnte man sich mit Leichen aus Pappmaché ablichten lassen. Die Luft da oben ist dünn, ich hatte einen langen Ritt hinter mir und war verkatert. Die vertraute Welt verwandelt, rings zerflirrte die Stadt, und in der Ebene spiegelten Berge. Es hat gedauert, bis ich zurechtkam. Bis ich raushatte, daß die Mexikaner mit ihrem Sinn für Volksfeste noch die makabersten Anlässe nehmen. Ciudad Juárez ist zur Stadt mit der weltweit höchsten Mordrate aufgestiegen, eine Westernstadt im 21. Jahrhundert, die täglichen Showdowns mit Maschinenpistole und Handgranaten. Dazu brutale Hinrichtungen in der Nacht, und manche von den Plüschleichen hatten Köpfe wie Bananen, die Haut abgeschält. So lief ich durch Tröten und Rasseln, fatalistische Glut, und aus den Zeitungen stießen die Schockbilder. Wenn nicht vom Drogenkrieg, dann von den geschändeten Mädchen. Noch ein Weltrekord für die Ciudad, denn jeden Tag aufs neue verschwinden dort junge Frauen, und wenn sie wieder auftauchen, dann als Mumien aus der Wüste; bizarr und verledert, wie vom anderen Stern.
    Striebeck macht ein Gesicht und trinkt den Brandy auf einen Zug.
    Willem sagt: Im Grunde ist es überall das gleiche.
    Striebeck hebt die Schultern. Vielleicht.
    Nicht vielleicht. Schon im Altertum mußte den meisten Menschen die Erde umgestürzt erscheinen wie eine Töpferscheibe. Überall wurde gemetzelt, geköpft, gepfählt. Die Gottlosen zertrampelt, und Priester und Könige in Menschengestalt sorgten für immer neue Grausamkeiten. Und später in Mexiko schnitten die Azteken ihren Gefangenen die Herzen bei lebendigem Leibe heraus. Oder nicht.
    Sie haben wohl recht.
    Und Sie haben keine Angst in Mexiko?
    Dann müßte ich ja überall Angst haben.
    Ach, nun seien Sie nicht so fatalistisch, Ulrike. Wir müssen ja nicht in Mexiko produzieren lassen.
    Ich denke, Mexiko ist überall.
    Und dann lachen sie beide.
    Willem trägt Gläser auf und Wasser, Striebeck steht an der Flügeltür und blickt über die Stadt. Das Silbergrau des Tages dunkelt bereits, und am Galgen schaukeln Blöcke und Manilahanf in einer kühlen Brise. Als er die Gläser vollschenkt, dreht sie sich zu ihm. Noch n Brandy für Sie, Ulrike?
    Warum nicht. Und dann: Ihr Büro ist wirklich gemütlich.
    Musik, Bücher, das Sofa. Alles da.
    Und das Fernrohr?
    Ein Blick in die Sterne hilft immer. Zumal wenn auf der Erde alles umgestürzt erscheint.
    Aber Sie gucken nicht nur Sterne.
    Was denken Sie denn.
    Ich würds machen. Darf ich mal?
    Nur zu.
    Nach einer Zeit sagt sie: Man kann denen ja bis in den Hals gucken.
    Und bringt Sie das weiter?
    Striebeck lacht. Im Frühling. Wer weiß.
    Dann kaufen Sie son Ding und stellen es sich ins Büro.
    Nicht solange Marcel Laschek dabei ist. Der ist schon fickerig genug.
    Dann kommen Sie im Frühling eben öfter hoch.
    Mal sehen. Und so geht Striebeck in den Sessel zurück.
    Willem sagt: Der menschliche Wahnsinn explodiert, und man wird schneller erfaßt, als man meint. Wenn ich mir ein paar Haufen ins Teleskop hole oder eine Nachbargalaxis, kann ich eine Freiheit verspüren. Doch wenn ich diese Freiheit kultivieren will, reicht der Blick durchs Rohr nicht aus.
    Striebeck sieht ihn an, lächelt. Dann prosten sie sich zu und trinken.
    Die Sehnsucht macht die Mexikaner billig; jene Grenzenlosigkeit jenseits der Grenze sorgt für ständigen Nachschub, und aus dem ganzen Land ziehen sie Richtung Norden. Eine endlose Verfügungsmasse, entwürdigt und rechtlos in den gesetzfrei gemachten Zonen, und doch nehmen sie die Arbeit dort wie ein kleines Glück. Danken der Jungfrau und ertragen alles, um der Familie ein wenig Geld zu schicken. Kräftige Burschen und junge Mädchen; einige geraten in die Feuerlinie der Kartelle, andere verschwinden in der Wüste, und immer wieder steht der Nachschub bereits vor der Tür.
    Die Produktion liegt eine halbe Stunde außerhalb der Stadt. 45 Grad im Schatten, sagt Striebeck, und rundherum Wüste, in der es keinen Schatten gibt. Eine große Halle, schnell hochgezogen und mit Blechdach, und anstelle von Scheiben sind große Gitternetze eingebaut. Hundert Achtkopf rattern rund um die Uhr, und der Feinstaub unendlicher Nadelstiche schwebt wie ein Teppich, überwuchert die Gitter, verschmiert im Wasserdampf der

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