Kronhardt
einreisen dürften. Man höre sehr wohl die Zwischentöne und habe von unserer Kritik an der Deutschen Demokratischen Republik schon längst etwas mitbekommen. Man wisse, daà wir die sozialistischen Opfer zum Aufbau von Boris Künstlertum dazu miÃbrauchten, unsere Kritik beispielsweise in die Boheme auf dem Prenzlauer Berg, vor allem aber in die sozialistischen Bruderländer zu bringen â Plattensee, sagte Gräpkenhoff, Schwarzmeerküste oder Kuba, und dann legte er uns Photos vor, steckte die Photos wieder ein, und die zwei Stasimänner traten ein.
Boris und ich hatten Angst. Und die Sorge um Tatjana steigerte unsere Angst; das Bedrohliche kam plötzlich von überall und machte vor nichts in uns halt.
Ich konnte als erste wieder sprechen. Ich will zu meiner Tochter, sagte ich.
Und Gräpkenhoff sagte, ich hätte meine staatsbürgerlichen Pflichten als Mutter verletzt. Ich hätte meine schwerkranke Tochter im Stich gelassen, und Tatjanas Zustand habe sich noch dramatisch verschlechtert, nachdem Boris und ich es vorgezogen hätten, auch noch unserer Ruhmsucht nachzugeben. Zu der somatischen Krankheit, sagte Gräpkenhoff, mit der wir unser Kind zurückgelassen hätten, seien nach Tatjanas GewiÃheit unserer Abreise nun auch Depressionen gekommen. Sie befinde sich unter strenger ärztlicher Aufsicht, und Gräpkenhoff sah uns an, als hätten wir unserem Kind das Herz rausgefressen.
Der trommelnde Niederschlag hat nachgelassen, und hinter den abziehenden Schleiern scheint die Welt versunken; ein See steht auf dem ausgetrockneten Land, abschüssig reiÃt das Wasser schmale Furchen. Manchmal durchtreibt noch ein Blitz purpurfarbene Wolken, doch der Donner hat sich bereits entfernt. Sie hören wieder erste Vögel; von einer nahen Weide brüllt eine Kuh.
Katja sitzt unter der Decke, ihr Blick scheint erstarrt in den Gaubenfenstern. Tränen haben die Farblinien um ihre Augen verwischt.
Tatjana war noch nicht volljährig, und der Anwalt, mit dem wir im Westen sprachen, versicherte, daà wir Anrecht auf einen Prozeà hätten und unser Kind zurückbekommen würden. Kontakt zu Tatjana konnte aber auch er nicht herstellen. Von DDR -Seite berief man sich in der ersten Zeit auf ihren gesundheitlichen Zustand; die enorme Erschütterung, teilte man dem Anwalt mit, die seine Eltern dem Kind zugefügt hätten, habe Tatjanas ganzes Wesen erfaÃt, und sie sei zur ersten Stabilisierung in eine Spezialklinik verlegt worden. Danach plane der Staat als ganzheitliche FürsorgemaÃnahme eine Verschickung, die Tatjana zugleich ermöglichen solle, ihr Abitur zu machen.
Der Anwalt versicherte uns, daà das Verzögerungstaktiken seien und er den Prozeà vor einem DDR -Gericht forcieren wolle.
Von unseren Musikerfreunden erfuhren wir, daà unserem ehemaligen Nachbarn, dem Stabführer a. D. Ernst Delitzsch, bis auf weiteres die Vormundschaft über unsere Tochter übertragen worden war. Delitzsch war aus der alten Stadtvilla ausgezogen, wohin, wuÃten unsere Freunde nicht. Und Tatjana blieb verschwunden; unsere Freunde konnten nichts machen.
Zu dieser Zeit erlitt Boris seine ersten Anfälle. Manchmal lag er einen ganzen Tag wie gelähmt; die Augen geöffnet, mit kaltem Schweià auf der Haut, und sein Puls flatterte. Und manchmal sank er in tiefen Schlaf, und aus seinen Augen tränte es.
Ernst Delitzsch meldete sich bei unserem Anwalt und teilte mit, daà Tatjanas Zustand sich langsam festige. Und wenn diese Entwicklung weiter anhalte, stehe einem Prozeà in naher Zukunft nichts im Wege. Beziehungsweise, sagte Delitzsch, pflege man in der Deutschen Demokratischen Republik die familiären Werte, und wenn Tatjana trotz der Erschütterungen, die wir ihr zugefügt hätten, zu uns zurückwolle, respektiere man das selbstverständlich, und dann sei ein Prozeà gar nicht nötig. Und danach teilte er unserem Anwalt mit, daà Tatjana uns sprechen wolle.
Am nächsten Tag waren wir beide sehr aufgeregt und saÃen eine Stunde lang in der Kanzlei, bevor das Telefon endlich klingelte. Die Stimme unserer Tochter klang fremd; alles Fröhliche und Herzliche wie unter einer kalten Schicht. Dennoch versicherte sie, daà sie uns vermisse; sie sei in einem Sanatorium, sie rekonvalesziere, bereite sich zudem auf das Abitur vor, und sobald sie wieder ganz bei Kräften sei, werde sie zu uns kommen.
Das Wetter ist
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