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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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Ringsystem gegen den aufsteigenden Geestrücken, ein Saturn, der aus der Welt blitzte. Von nahem sahen sie den Ponton mit dem Bagger. Der Auslegerarm hatte gezackte Streben und schwenkte durch die Luft. Trossen liefen, der Greifer schlug auf wie ein mächtiges Maul, und seine Zähne stießen ein; rissen und rüttelten, Dieselwolken stiegen gegen die Sonne, und dann kam das Ding wieder zurück, triefend, aus den Eingeweiden des Saturnkörpers. Bald schwenkte der Ausleger, der Ponton legte sich auf die Seite, und dann rissen die Fangzähne wieder auf. Sand und Geröll rauschten in eine mächtige Wanne, die Wanne schüttelte sich, und bald sickerte die feine Beute auf ein Laufband und zuckelte in die Höhe. Rieselte in changierendem Strahl durch die Luft und türmte sich auf zu einer Pyramide. Manchmal sackten Flanken weg und verbreiterten ihre Basis, manchmal schien ihre Spitze gegen die Sonne zu streben.
    Um 16 Uhr war Feierabend.
    Dann erstarrte das Laufband, der Baggerführer verholte sich an Land, und die Muldenkipper wurden in Reihe geparkt. Gelegentlich trieb der Wind noch ein paar Fetzen, dann war Abfahrt. 16 Uhr 30 hatten die Geräusche sich in der Ferne aufgelöst, und aus der grünen Tiefe stieg eine Stille, die sich bald über die ganze Grube stülpte. Die Jungs nahmen den Nachen vom Baggerführer und zogen auf den Ponton. Sprangen in den See und lagen auf dem warmen Eisen.
    Mit der Dämmerung kam der Nachtwächter. Ein alter Mann ohne Uniform und Deutschmeister-Gehabe, und seine beiden Hunde stromerten. Uhrzeiten schienen ihn nicht zu interessieren; er schien ganz auf Wetterlage und Jahreszeit geeicht und tauchte zuverlässig mit dem ersten Zwielicht auf. Dienst nach Licht, sagten die Jungs, und im Biologieunterricht hatte der Lehrer vom Scheitelauge gesprochen – ein uraltes Lichtsinnesorgan, hatte er gesagt, das in der Stammesgeschichte schließlich zur Zirbeldrüse geworden war; ein Ding, das vom Scheitel mitten ins Hirn gewandert war, und niemand wußte, was es in der Finsternis dort bewirkte. Dienst nach Licht also, sagten die Jungs, und den alten Mann nannten sie Zirbel.
    So wußten sie immer, wann es Zeit war zu verschwinden. Einmal aber paßte sie der Alte ab. Auch die Boxerhündin und der Spitz sahen die Jungs an. Moin, sagte er, den Revolver am Gürtel. Und daß die Jungs nicht glauben müßten, er wisse nichts von ihnen. Nein, er käme nicht extra früher, um sie heimlich zu beobachten. Er habe nur ihre Spuren gesammelt und seine Schlüsse gezogen, und wenn die Jungs weiterhin keinen Blödsinn machten, könnten sie ruhig wiederkommen. Alsdann, sagte der Alte, die Hunde schnüffelten kurz, dann schnürten sie voran in Stille und fallende Nacht.
    So sprangen sie vom Ponton; so hatten sie Zeit, sich für die saturnhaften Ringe zu interessieren; Streifen, die hell und lehmfarben leuchteten, oder dunkle, vermahlene Bänder. Sie entdeckten Schleifspuren auf den Brocken, die von Gletschern verschleppt worden waren, und die Pyramide unter dem Förderband hatte ständig neue Ausmaße. Sie begeisterten sich für die aufgebrochene Chronologie, entwickelten Theorien und Szenarien, und einmal holten sie ein Fossil ans Licht. Ein anderes Mal stießen sie in der mächtigen Eisenwanne auf einen behauenen Flintstein; ein wunderbares Ding, das mit seinen beinah weich geschlagenen Kanten perfekt in der Hand lag. Sie hatten auf Anhieb das Gefühl, Druck und Hitze aus tiefster Zeit zu spüren – und mehr: alle Kultur gebündelt in einem Kern zu halten. Als wäre das Gesetz von der Unumkehrbarkeit der Zeit aufgelöst, so strömte der Stein in ihrer Hand und befeuerte ihre Visionen.
    Im Glast lief Farbe aus den Distelköpfen; die Ginsterblüten hingen in raschelnden Trauben, alles Leuchten bereits vergilbt, und rings der Sand körnig und trocken.
    Die Jungs verholten den Nachen und setzten sich auf den Ponton. Das Eisen war so heiß, daß sie es ablöschen mußten. Die Sonne stieg am Auslegerarm abwärts, Schatten tropften, und manchmal schien ein Strahl in der grünen Dunkelheit des Wassers zu glühen. Ein kreischender Trupp von Mauerseglern schoß über den Spiegel, und wenn der Ponton in der Hitze aufzuweichen schien, stießen die Jungs mit einem Kopfsprung in die Tiefe.
    Es war ein starkes Gefühl, wenn sich der Druck mit jedem Stoß um sie herum verdichtete und aller

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