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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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sagte: Flußjungfern gabs schon lange vor den Dinosauriern, und wenn ich noch einmal Schnauze höre. Oder Saubande, nichtwahr.
    Und so zog sich ein unsichtbares Netzwerk über die Wächter, so waren sie getroffen von geheimnisvoller Fernwirkung, und Willem stand da, als hätte er die Fähigkeit zu Überwachung und Macht in vollen Zügen aus den Brüsten seiner Mutter gesaugt. Als verfügte er jederzeit über genügend Informationen, um sich Vorteile zu verschaffen.
    Schlosser sagte: Das kam ja sauber gerattert.
    Und Willem grinste.
    Wie so ne Hollerithmaschine im Schädel. Wenn deine Alten nicht so schräg wären, müßten sie stolz auf dich sein.
    Ach was. Das meiste habe ich mir aus den Fingern gesaugt.
    Du hast uns den Arsch gerettet.
    Quatsch. Wir wären auch anders aus der Sache gekommen.
    Meinst du?
    Wir hätten es versucht.
    Versucht hätten wir es. Aber wenn nicht, wär die Kacke ganz schön am Dampfen gewesen.
    Hätte dein Alter dich verprügelt?
    Kommt drauf an. Und bei dir?
    Wie üblich.
    So stiegen sie den Grubenrand hoch; hinter ihnen das Gebell wurde leiser, und als sie die Räder aus dem Ginster holten, zogen die Wölkchen nach Westen. Sie erschienen weich, und bald sahen die Jungs eine Libelle; die mathematische Anmut ihrer Geraden, und sie spürten diesen Augenblick in sich, diesen Blick, wenn man frei ist.
    Ein paar Tage lang steuerten sie wieder die Familienseen an. Sahen den Töchtern zu, glotzten Bikinis, und aus den Kofferradios kam Beatmusik oder Ich jagte Eichmann.
    Doch die Sache mit den Wächtern ging ihnen nicht aus dem Kopf. Rings die Antriebe konnten noch so erotisch sein, die Jungs wirkten unkonzentriert, und bald fühlten sie sich wie Deportierte.
    Solange sie nicht aus freiem Willen da waren, meinten sie, fehlte ihnen was, und so versteckten sie die Räder wieder im Ginster und sprangen über den Zaun. Es war ein Sprung aus tiefer moralischer Pflicht; ein Sprung ins Sperrgebiet, der die menschliche Freiheit markierte.
    Ab und zu tauchten Halbstarke auf. Meist hatten sie ihre Bräute dabei und verzogen sich in einen lauschigen Abschnitt. Doch einmal fielen sie wie eine Horde ein, machten Feuer und Musik, und natürlich waren die Deutschmeister-Schergen bald zur Stelle.
    Willem und Schlosser konnten sehen, wie alles Machtgehabe der Wächter verpuffte – Walkie-talkie, Uniformen, die irren Hunde, und so zogen sie schließlich ab, und die Halbstarken lachten ihnen hinterher. Es klang wie eine Kehle, wie ein Körper, gegen den Wächter und Hunde nichts ausrichten konnten – eine uralte und simple Angelegenheit im Grunde, und so siedelten Willem und Schlosser im Schutz der Halbstarken. Im Schatten dieser Masse, die sich selbst als Obrigkeit installiert hatte und alle Befehle von außerhalb auflöste. So prasselten Musik und Feuer, helles Klirren stieg auf, und die jungen Kerle zeigten wagemutige Sprünge ins Wasser.
    Zum Nachmittag hallten im Kessel die Schläge einer Axt, dann trieb eine zweite den Rhythmus. Noch vorm Sonnenuntergang war eine stattliche Kiefer aufgebrochen – ihre schöne Krone in den See gefällt, und aus dem nackten Stumpf stieg noch einmal die Geschichte dieses Baums. Doch die Halbstarken grölten bloß, stießen die Flaschen an, als wäre die Spanne des eigenen Daseins – ach was, als wäre sogar dieser Abend mit Feuer und Musik unendlich höher zu bewerten als so ein Baum. Willem und Schlosser gefiel das nicht. Man konnte einen Baum fällen, um daraus Stühle zu bauen oder ein Boot, meinten sie. Doch zuletzt konnten sie nicht sagen, ob dieses Gemetzel damit zu tun hatte, daß Deutschland noch immer der Krieg in den Knochen steckte. Daß diese Krankheit, die den Menschenblick so unglaublich verzerrt hatte, sich nur langsam ausschlich und nur langsam den Blick wieder freigab für die Ehrfurcht vor einem Baum. Oder ob sich das Untertanmachen im Menschen womöglich schon so fest eingebrannt hatte, daß die Halbstarken sich im menschgegebenen Recht fühlten – Krieg hin oder her, weil die Menschen einfach alles in der Welt bezwingen mußten.
    Und so standen die Halbstarken auf dem Baum und schwangen ihre Äxte. Wie auf einer Beute, auf einem niedergemachten Land. Und Feuerschein und Grölen stiegen in die Nacht und markierten das Revier.

12
    Dann entdeckten sie eine Sandgrube, die nach Norden hin lag; aus der Ferne ein gelbes

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