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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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Raum sich zugleich in Dunkelheit und Kälte weitete. Die Jungs konnten ihre Herzen wie einsame Trommeln spüren; den mächtigen Takt, der bald bis in ihre Köpfe schlug und das Alleinsein in sich selbst und in der Welt so wunderbar markierte. So drangen sie tiefer, spürten ihre Weichheit und Zerbrechlichkeit, und wenn sie wieder aufwärts schossen gegen die ferne Sonne, bald angetrieben von der zunehmenden Leichtigkeit, und sie zuletzt die Oberfläche durchstießen, flatterten ihre Lungen; die Augen traten mit gieriger Freude gegen die Welt, die Mäuler schnappten, und nach ein, zwei Zügen drang dieser tiefe Augenblick aus ihren Körpern. Und sobald sie wieder genügend Luft hatten, johlten sie, und ihre Stimmen schwangen übers Wasser und prallten gegen die gebänderten Schichten der Sandkuhle.
    Wenn sie wieder auf dem Ponton lagen, war das Eisen warm und anschmiegsam. Die Welt unglaublich weit im Sommerlicht, und die Wolken segelten dahin oder erschienen filigran wie Eidechsenhaut.
    Vor beinah drei Jahren haben wir unsere Mutter beerdigt.
    Da sind Jahre nichts.
    Sie starb im Dezember.
    Das wird immer bitter bleiben.
    Ja. Schlosser rollte eine Zigarette. Sie sind los gewesen, der Alte und sie, und mit den Weihnachtsgeschenken kamen sie zurück. Dann zog n Laster vorbei, und irgendwas war mit seiner Ladung nich in Ordnung, n Kantholz oder Rohr, meinte die Polizei. Hat ihrs Genick gebrochen. Und während der Laster vorbeiknattert, geht der Alte lustig weiter und redet noch davon, wie wir Kinder uns über die Geschenke freuen werden. Und als er sich endlich umdreht, liegt die Mutter da.
    Das ist hart.
    Ja. Knochen, Muskeln, alles wie ausgelaufen. Und wie der Alte sie hochholen will, kommt die Spannung nich zurück. Er schüttelt sie und heult und bettelt. Aber nichts. Aufgeweicht, so hängt sie in seinen Armen. Neben ihr unsre Geschenke, und der Laster ausm Staub.
    Scheiße. Ein Schnitt, und nichts ist mehr, wie es war.
    Ja. Der Alte is dran zerbrochen.
    Und die Geschwister?
    Na ja.
    Und du?
    Ich hab mirs Sternekucken angewöhnt.
    Und das hilft?
    Nichts hilft.
    Nee.
    Wenn Mutters Tod einen tieferen Sinn hat, sagte Schlosser, bin ich zu blöd dafür. Dann machte er ein Gesicht. Unwiederbringlich. Weißt du was dagegen?
    Nee.
    Ganz schön schräge Sache, oder?
    Weiß nicht. Kommt wohl auf den Blickwinkel an.
    Meinst du? Er sah dem Rauch hinterher. Und dann: Könnte schon was dran sein.
    Manchmal fiel eine Brise und trieb den seimigen Geruch der Disteln; zersprühte die Sonne auf dem See. Schlosser löschte die Glut und legte die Kippe in eine Blechschachtel.
    Und dein Alter, sagte er dann. Auf ner Barkasse gestorben, oder?
    Mhm.
    Sprichst nicht gern drüber.
    Nee.
    Warum nich?
    Es dauerte, bis Willem etwas sagte. Weil die Alten auch nie drüber sprechen.
    Und warum die nich?
    Keine Ahnung.
    Wenn einer einem was bedeutet. Den kann man doch nicht totschweigen.
    Mein Vater ist schon bei mir.
    Dann is ja gut.
    Zwei- oder dreimal klatschte Wasser gegen den Ponton, ansonsten war es still.
    Er war Emigrant. Aus Nazideutschland in die Schweiz, und meine Mutter ist mit ihm. Früher hab ich gedacht, so was geht nur aus Liebe. Oder Überzeugung. Heute weiß ich nicht, warum sie das getan hat. Wir haben in Zürich gelebt. Mein Vater gehörte zu einer Künstlergruppe; sie haben den Wahnsinn der Alltagsmenschen entlarvt – so nannten sie das. Einige waren Maler oder machten Installationen. Oder was Spontanes. Mein Vater machte Photos. Und meine Mutter hatte mit alldem nichts am Hut. Sie kümmerte sich um die Stickerei.
    Aus Zürich?
    Ja. Kronhardt ist der Bruder meines Vaters; er war in Bremen geblieben und machte dort den Geschäftsführer. Doch in Wirklichkeit lenkte meine Mutter alles. Sie war oft auf der Post, gab Telegramme auf, und manchmal klappte es auch mit dem Telefon. Und sie fuhr regelmäßig nach Bremen. Ich mußte immer mit, obwohl ich lieber bei meinem Vater geblieben wäre.
    Sie hat dich nich gelassen?
    Nee.
    Und er?
    Mein Vater wollte mit Deutschland nichts mehr zu tun haben.
    Und sobald er tot war, hat sie Kronhardt geheiratet.
    Ja.
    Den Bruder deines Vaters.
    Ja.
    Und ihr seid zurück.
    Ja.
    Und wie isser gestorben?
    War unser einziger Familienurlaub. Ich war dabei, als sie meinen Vater überredete. Mir zuliebe, hatte sie zu ihm gesagt, könnte er seine Sturheit doch einmal überwinden, und als er

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