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Kronhardt

Titel: Kronhardt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dohrmann
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schließlich nickte, hab ich vor lauter Freude geheult.
    Mein Vater – na ja. Der hatte so einen Blick für die Welt, und mit ihm war alles anders. Der wollte mit den Alltagsmenschen und ihren Gesetzen nichts zu tun haben. Da war das Leben ein einziges Wunder, und wir haben ständig gelacht und gestaunt. Ich weiß noch, daß meine Mutter in der Eisenbahn schlief, während wir von einem Waggon in den anderen zogen. Und wie wir stundenlang auf dem Perron standen, im Schlag der Gleise, und manche Städte waren noch völlig dunkel, gezackte Schatten gegen die Nacht. Und wie wir an Bahnhöfen hielten, die es gar nicht mehr gab.
    Als wir nach zwei Tagen hier einrollten, erwartete uns Kronhardt bereits am Bahnsteig. Er schien offen und fröhlich, warf mich in die Luft und steckte mir Süßigkeiten zu. Meiner Mutter küßte er die Hand, meinem Vater schlug er auf den Rücken. Daß die Brüder sich seit dem Krieg nicht mehr gesehen hatten, war mir damals nicht bewußt.
    Kronhardt hatte alles für unseren Familienurlaub organisiert. Stadtmusikanten, Brauereibesichtigung, einen Ausflug ins Teufelsmoor. Wenn wir unterwegs waren, schienen alle fröhlich, und eines Tages stand dann die große Hafenrundfahrt auf dem Programm. Wir gingen zum Martinianleger, und dort lag die Alk.
    Willem räusperte sich.
    Als wir aufsteigen, ist noch alles gut, und beim Ablegen stehen mein Vater und ich an der Reling. Wir können sehen, wie die Welt an uns vorbeizieht. Als wären wir in ihrem Mittelpunkt verankert, und so denken wir uns die tollsten Geschichten aus. Die Mutter und Kronhardt sind unter Deck oder sonstwo, und wir können lustig sein, wie es uns gefällt. Dann muß mein Vater auf die Toilette. Er lacht noch und winkt, und es ist das letzte Mal, daß ich ihn lebend seh.
    Nach einer Weile ist auf dem Achterschiff Tumult, und wie ich dazustoße, sehe ich Kronhardt und den Matrosen das Bordklo aufbrechen. Dann kullert der Kopf meines Vaters raus. Sein Körper ist zusammengesackt und verkeilt in dem kleinen Raum, doch sie kriegen ihn irgendwie aufs Deck. Alle stehen um ihn herum, und einer der Passagiere ist Arzt. Aber er kann nichts mehr machen.
    Die Mauersegler zogen über den Ponton, und Willem sah ihnen hinterher.
    Im Krankenhaus hieß es zuerst Embolie. Dann schien es doch keine Embolie gewesen zu sein, und die Kriminalpolizei tauchte auf, und auch die Zeitungen interessierten sich. Schließlich war es dann doch Embolie, Krankenhaus und Kripo entschuldigten sich, und die Zeitungen brachten noch einen großen Abschlußbericht.
    Nach langem Hin und Her war der Leichnam schließlich frei. Er wurde aus der Pathologie in einen Kühlwaggon verbracht und sollte nach Berlin ins Familiengrab. Aber ein- oder zweimal verweigerte die DDR den Transit, und zuletzt wurde mein Vater eingeäschert und in Bremen beerdigt.
    Die Mauersegler schossen aufwärts gegen den Grubenrand und lösten sich auf in Hitze und Glast.
    Meine Fresse, sagte Schlosser. Leichenöffnung und alles.
    Willem machte eine Geste und sagte nichts.
    Is ja ne Nummer. Und als die Kripo auftauchte, meinten die, da wäre was nich astrein?
    Auf den ersten Blick hats wohl ausgesehn wie eine Embolie. Aber einer von den Ärzten hatte einen zweiten Blick, und der hats ins Rollen gebracht.
    Meine Fresse, n richtiger Fall. Der Mann paßt nicht mehr ins Konzept, und Frau und Geliebter erledigen ihn. Das hat die Kripo wohl gedacht.
    Ja.
    Und du?
    Keine Chance.
    Wär auch zu übel.
    Ja.
    Willem blickte über den See, Schlosser rollte sich eine Zigarette.
    Dann sagte Willem: Wie war denn deine Mutter?
    Es dauerte, bis Schlossers Benzinfeuerzeug eine Flamme gab. Und er antwortete bedächtig. Der Alte zerbröselt ohne sie. Seine Liebe und sein Mumm. Sein Anstand und seine Ziele – alles geht dahin. Unsere Mutter, die fehlt an allen Ecken und Enden.
    Sie war eine gute Frau, was.
    Ja. Aber jammern nützt gar nichts.
    Willem sagte nichts.
    Hast du gejammert?
    Auf meine Art.
    Wir auch. Die Zwillinge und ich. Und wir reden immer noch, als würde Mutter jeden Moment zur Tür reinkommen.
    Kommen die Kleinen damit zurecht?
    Ich muß mich kümmern. Der Alte kriegt das nich mehr hin.
    Wie alt sind sie?
    Fünf Jahre jünger. Hannes und Helene.
    Gut, daß sie jemanden haben.
    Ja. Und ich hab sie. Du hattest keinen, was.
    Manchmal rede ich mit dem Doktor.
    So nem Seelenklempner?
    Nee. Einfach

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