Kronjuwel (German Edition)
er den Absprung wirklich wagen würde, doch jetzt bei dem Anblick der historischen Fakultät, fühlte er, dass die Entscheidung gefallen war.
Durch die alten Steinflure ging er geradewegs auf Caines Büro zu. Dieses Mal klopfte er an, bevor Mandys Stimme ihn hereinbat. Sie stand an ihrem Kopierer an der Wand gegenüber der Tür. Zum ersten Mal fiel Noah ihre Umwerfende Figur auf, als er beim Eintreten sah, wie sie sich in ihrem Rock nach vorne beugte, um neues Papier in eines der Fächer zu legen. Er fragte sich noch, warum sie vorher noch nie aufgefallen war, als sie sich wieder aufrichtete und zu ihm umdrehte.
»Noah!«, sagte sie begeistert, als sie ihn ansah, »Wow, du siehst umwerfend aus. Warst du also in L.A. um zu shoppen?«
Sofort schien ihr wieder einzufallen, mit welcher Begründung Noah verreist war und wollte sich berichtigen, »Tut mir leid, ich hatte vergessen. Ist alles in Ordnung mit deiner Familie? Willst du darüber reden?«
»Nicht unbedingt«, meinte Noah erleichtert darüber, sich keine weitere Ausrede ausdenken zu müssen. Er hatte schon fast vergessen, dass er von einer privaten Angelegenheit gesprochen hatte, als er Tage zuvor mit Caine gesprochen hatte und hätte Mandy beinahe eine neue, völlig andere Geschichte aufgetischt.
»Caine ist in der Sammlung«, beantwortete Mandy die Frage, die er ihr als nächstes gestellt hätte, »Ich denke, Sie will dich bestimmt sofort sprechen.«
Noah dankte ihr und nahm sich vor, später noch ein letztes Mal bei ihr vorbeizusehen, bevor er dem Campus den Rücken kehrte. Er verließ das Büro wieder und ging weiter über die alten Steinplatten auf den Fluren. Er erreichte die schwere Glastür, die einen ziemlichen Kontrast zu den alten Gemäuern bildete, in denen die historische Fakultät lag, aber wenigstens bot sie eine Möglichkeit die Sammlung sicher abzuschließen. Die meisten der Fundstücke, die sich hier in Regalen und Glasvitrinen im Laufe vieler Jahrzehnte angesammelt hatten, waren kaum etwas wert und wären leicht zu ersetzen gewesen, doch es gab auch einige Gegenstände, für die die Universität einmal viel Geld bezahlen musste, um sie zu ihrer Sammlung hinzuzufügen. Normalerweise waren es alte Schriften wie Lexika oder Landkarten, die viele tausend Dollar gekostet hatten, weil es sich entweder um Originale oder seltene Drucke und Kopien handelte, deren Kunstfertigkeit dem Original häufig in nichts nachstand. Vor der Erfindung des Buchdrucks eine Weltkarte zu kopieren, war nicht gerade eine leichte Aufgabe gewesen, und entsprechend wertvoll waren diese Dokumente heute.
Sofort stieg ihm der vertraute Geruch von altem Papier, steinernen Fundstücken und tagelang ohne Unterbrechung eingeschalteten Computern in die Nase. Um diese Zeit war in der Sammlung nie viel los und so konnte er unbehelligt über den mittleren Gang durch die Reihen von hohen Regalen gehen und dabei Blicke in die Gänge dazwischen werfen. Im hinteren Teil der großen Halle fand er Caine, die auf einer niedrigen Leiter stand um mit konzentriertem Blick etwas von weiter oben aus dem Regal zu holen. Auf dem Boden vor ihr lagen einige Bücher, die sie zuvor schon herausgesucht und aufgestapelt hatte.
»Professor«, sagte Noah als er an sie herantrat. Überrascht sah sie zu ihm herunter.
»Noah, willkommen zurück«, erwiderte sie, ganz so als hätte sie ihn jeden Augenblick erwartet, und setzte sich auf die oberste Stufe ihrer Trittleiter, »Wie war Ihre Reise? Konnten Sie alles klären?«
»Ja, das konnte ich. Mehr als das, ich denke, ich habe eine wichtige Einsicht mitgebracht.«
Sie ging nicht weiter auf seine Andeutung ein, sondern schien stattdessen nahtlos zur Tagesordnung überzugehen.
»Ihr Seminar prähistorische Kunst hat bei mir die Aufsätze eingereicht, die Sie als Hausarbeit aufgegeben hatten, sie liegen in meinem Büro auf dem...«
»Ich kündige«, unterbrach Noah sie und zerriss innerlich fast vor angespannter Erwartung darauf, wie sie reagieren würde.
Erst lächelte sie ihn an, als hätte sie ihn nicht gehört, als wäre sie nur durch ein lautes Geräusch unterbrochen worden und wollte erneut ansetzen, doch wenige Sekunden später erkannte ihr Verstand die Bedeutung der Wörter, die sie gerade aufgenommen hatte.
»Sie machen was?«, fragte sie während sich Ungläubigkeit in ihrem Gesicht ausdrückte.
»Ich kündige«, wiederholte Noah sich, »mit sofortiger Wirkung. Ich ziehe von hier weg, es ist Zeit für einen Neuanfang. Ich wollte es Ihnen
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