Kronjuwel (German Edition)
er bei seinem ersten Treffen mit Doyle fast vor Überraschung an seinem Cocktail erstickt wäre.
Wie viel Zeit genau vergangen war, wusste er nicht. Vermutlich waren es mehrere Stunden gewesen, seit sie sich von ihm losgerissen hatte, ihn ungläubig angesehen und die Treppe hinauf gestürmt war. Erst wollte er ihr folgen, doch er hatte die Kraft nicht aufbringen können. Auf seinem breiten, weichen Ledersofa hatte er zuerst nur regungslos dagesessen, dann hatte er sich mit weit aufgerissenen Augen hingelegt, um irgendwann einzuschlafen. Als er die Augen wieder öffnete war es draußen dunkel geworden. An den deutlichen Geräuschen auf dem Dach hörte er, dass es zu regnen angefangen hatte. Langsam stand er auf, sein ganzer Körper steif von der verkrampften Haltung, in der er eingeschlafen war. Er stieg die Treppe rauf und sah sich um. Ava war nirgends zu sehen, schwaches Licht fiel durch die Fenster auf das zerwühlte Bett und die Kleidungsstücke, die auf dem Holzboden ausgebreitet davor lagen.
Er wusste nicht, was er davon halten sollte, als er die Treppe wieder herunter ging. Er durchquerte die fast ganz dunkle Wohnfläche und sah auf das kleine Tischchen neben der Tür, auf dem er für gewöhnlich seine Autoschlüssel ablegte. Er schloss die Augen für einen Moment als ihm auffielt, dass an der Stelle, an der eigentlich der Schlüssel zu seinem Sportwagen liegen sollte, ein Zettel mit zwei schnell hingekritzelten Zeilen lag.
»Es tut mir leid. Am Strand.«
Ohne zu zögern griff Noah nach einem der Motorradschlüssel, griff nach einer Lederjacke am Kleiderhaken über dem Abstelltisch und stürmte nach draußen. Der Regen fing an stärker zu werden, als er in wenigen Schritten um die Ecke seines Hauses lief und den Carport auf der Rückseite erreichte. Neben dem tiefroten BMW und der Stelle, an der eigentlich sein mattgrauer Sportwagen stehen sollte, bedeckten zwei Planen die Motorräder, mit denen er seit er sie gekauft hatte, noch nicht ein einziges Mal gefahren war.
Er zog den Schutz von einem der beiden, einer roten Maschine mit einem unübersehbaren weißen Aufdruck der Marke auf der Seite und schwang sich darauf. Instinktiv startete er den Motor und fuhr los, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass er noch nicht oft auf so einem Gefährt unterwegs gewesen war, geschweige denn auf einem so hochmotorisierten.
Doch daran konnte er jetzt nicht denken, als er durch den Regen die drei Häuserblocks bis zum Strand zurücklegte. Mit laut aufheulendem Motor fuhr er auf der Straße, die am Strand entlangführte und versuchte irgendetwas zu erkennen. Er erreichte einen Parkplatz und bemerkte sofort den dunklen Sportwagen, der quer mitten darauf abgestellt war. Er bog rasant auf den Parkplatz ab und sprang von seinem Motorrad, als er auf der Höhe des Wagens war. Während es auf die Seite fiel warf er einen schnellen Blick in den Wagen, in dem wie er erwartet hatte niemand mehr saß. Er rannte über den Parkplatz und drehte sich dabei verzweifelt in alle Richtungen.
»Ava!«, rief er so laut er konnte über das Geräusch der Brandung und das laute Prasseln des Regens hinweg. Der Regen war so stark und dicht, dass sich um Straßenlaternen mehrere Meter über dem asphaltierten Weg, der am Strand entlang führte, eine Art Kugel bildete, die aus angestrahlten Regentropfen bestand. Noah sprang über eine niedrige Mauer und landete auf dem weichen, nassen Sand des breiten Strandes. In der Dunkelheit der Nacht konnte er kaum etwas erkennen und das wenige Licht von den Laternen der Promenade reichte nicht aus, um den mehr als zwanzig Meter breiten Strandabschnitt zu beleuchten. Er griff in seine Jackentasche und fand sein Handy. Er schaltete den Kamerablitz des Telefons ein und hielt es hoch über seinem Kopf, als wäre es eine Taschenlampe.
Nicht weit von ihm entfernt, genau da, wo die Wellen des Pazifik immer wieder auf festes Land trafen und ihre Spuren hinterließen, konnte er eine schemenhafte Gestalt erkennen.
»Ava!«, rief er erneut und glaubte erkennen zu können, wie die Gestalt sich umdrehte. Eilig ging er auf sie zu. Endlich war er nah genug um sie besser erkennen zu können. In völlig durchnässter Kleidung stand sie am Rande des Pazifiks und sah ihn an. Das schwache Licht von Noahs Telefon warf unheimliche Schatten auf sie, was durch den immer noch heftig niederströmenden Regen nur verschlimmert wurde.
»Ava, es tut mir leid. Komm jetzt, lass uns wieder nach Hause fahren«, versuchte er auf sie
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