Krumme Gurken
Sogar zu Hause, wo du alles kennst. Um Mitternacht ist es am schlimmsten. Zum Glück kenne ich geile Geisterjägerstrategien: Ein paar Geister auf unserer dunklen Treppe vertrieb ich mit gezielten Zaubersprüchen, die ich schon im Kindergarten gelernt hatte: ›Ich fick deine Mutter‹ schlägt jeden Geist in die Flucht. Das hat mir Heiko im Kindergarten erzählt. Seitdem praktiziere ich das immer im Dunkeln und es funzt voll. Als ich klein war, hab ich hier auf der dunklen Treppe so laut, ›ich fick deine Mutter!‹ gebrüllt, bis Mama aus dem Schlafzimmer kam. »Aber Bennie!«, hat sie meistens nur gesagt. Erschrocken war sie nicht. Geister aber und Leute, die denken, dass sie einen Geist haben, lassen sich von so was immer abschrecken.
In meinem Zimmer angekommen, schmiss ich deshalb schnell mein Notebook an. Schon fühlte ich mich nicht mehr allein. Unsere Band rockte in meinem Kopf ab. Aber auch bei Facebook gab’s Musik. Eine Menge neu gepostete Clips: A Bar in Amsterdam von Katzenjammer – eine Frauenband zwischen Ska und Jahrmarkt hieß es. Es stimmte! Sie schmetterten Hearts that should fight. Die Welt war voll von wilden Frauen!
Paulina hat ein Foto einer großen Tafel aus einer Schule gepostet. Darauf hatte die dortige Musiklehrerin in großer Schrift für ihre Orchesterschüler eine Nachricht hinterlassen: Alle Bläser, die noch keinen Ständer haben, kommen, bitte, nach oben und holen sich einen runter! Grüße Frau F. Ich gab meinen Senf dazu, für den sich der coole Superstecher Buddy sicher nicht schämen würden: Erledigt, Mädels! Gute Nacht! Vor dem Zubettgehen surfte ich noch etwas. In einem Game-Forum wurde gerade das Spiel Lost Horizon diskutiert, das schon in meiner Schublade lag. Frisch erschienen. Onkel Karl hat’s mir zum Geburtstag geschickt. Die meisten Jungs spielen was Heftigeres als solch sanfte Adventure-Sachen, aber ich bin schon immer auf Indiana Jones abgefahren. Und mit Frauen im Netz kannst du sowieso nur über Rollenspiele oder so Zeug reden. Mit älteren Frauen, meinte ich. Die Kugelstoßerin Sandra aus unserer Klasse, die knallte auch Dämonen am Fließband ab und schiss auf den Artenschutz … Schluss für heute! »Gute Nacht, Püppi!« Mein Notebook heißt echt Püppi, aber das darf keiner erfahren. Klar?
PIEP! Doch nicht Bettruhe. Rowdys Beats trudelten ein. Sogar drei Songs: Ein Hip-Hop-Ding und zwei Nummern, die man als Melodic-Metal bezeichnen könnte. Ich ließ den Hip-Hop-Song mit repeat laufen, legte mich ins Bett und versuchte im Halbschlummer einen Textfaden zu spinnen:
»Yo, yo, yo
Du willst disch mit mir messen
Das kannste vergessen
Harte Männer müssen schweigen
Und sisch ihre Gurken zeigen!
Jeder Gangsta, jeder Schurke
Hat auch ’ne krumme Gurke
Pack die Mütze und das Sakko
Hast du’n Problem, du Spako
Isch sehe schon deinen Kummer
Meine Gurke ist viel krummer
Yo, yo, yo«
Hey, hey! Das war schon ein richtiger Gangstarap. Ich sprach das Ding auf mein Handy.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, kam ich mir nicht mehr so gangstamäßig vor. Weil ich von Carmela geträumt hatte. Carmela war die Gretel und ich der Hänsel, leider hat sich meine Gretel mit der Hexe zusammengetan. Gerade als die beiden bösen Weiber mich in den Ofen schieben wollten, wachte ich auf. Die Sonne klopfte nackt und ohne Scham aufs Fenster. Ich war in Schweiß gebadet und dann fiel mir zu allem Übel auch noch ein, dass Clara sicher nicht den Gangstarapper geben würde. Sie konnte zwar singen, aber nicht rappen. Und erst recht hatte sie nicht den richtigen Flow, um über krumme Gurken zu rappen. Ich ließ am Notebook über die Boxen einen von den zwei melodischeren Songs von Rowdy laufen. Der Ohrwurm fraß sich bei mir ein. Meine Morgenlatte tanzte dazu einen krassen Salsa-Blues.
Jede Frau hat ihren Trumpf
Langes Haar, ’nen schönen Rumpf
Im Dunkel strahlend wie der Mond
Ziemlich schlau und somit blond
Doch nur eine gibt’s, die mich ließ
Ins Paradies
O, Frida!
Ich kann sagen jeden Tag
Dass ich Frauen ganz gern mag
Sie haben, was ich nicht hab
Schubi, dubi, schaba, dab
Doch nur eine gibt’s, die mich ließ
Ins Paradies
O, Frida!
Hmm … Das konnte Clara aber auch nicht singen, oder? Musste wohl noch etwas anderes dichten. Etwas über Männer, damit das auch zu einer weiblichen Sängerin passt. Etwas Schöneres musste her. Etwas Intellektuelles, etwas wie von Silbermond .
Ich liebe dich echt
Sei zu mir nett
Aber halloo!
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