Krumme Gurken
von nebenan Stimmen, drehte aber demonstrativ die Lautstärke voll auf.
»Mach den Schund aus!«, brüllte plötzlich Emma von unten. »Der Typ steckt voll in der Pubertät. Schaut sich irgendwelche g’scheerten Prügeleien an.«
Ich schaltete den Media Player aus. »Bud Spencer wurde von dem führenden Filmkritiker Moses Wolff als der Klassiker des anspruchsvollen Films ausgerufen«, sagte ich ins
Liebesloch. »Der beste Schauspieler der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts!« Mann! War ich mal wieder krass selbstbewusst. Langsam kannte ich ja die Mädels. Vielleicht sollte ich das Liebesloch breiter machen, damit ich ihre Waden beglotzen konnte. Das würde mich noch mehr inspirieren. »Steht ihr nicht auf Bud Spencer?«
»Voll!«, sagte Mia.
»Das wundert mich nicht«, hörte ich Anna lästern.
»Wie ist es so in Dresden?« Mia ignorierte sie einfach. Darf man eine Königin ignorieren?
»Wie wird’s dort scho sein?«, mischte sich jetzt Emma ein. »Deppert!«
»Mein Papa sagt, dass es an manchen Orten in Ostdeutschland wie in Asien aussieht«, sagte Anna. »Die Leute im Osten betrinken sich die ganze Zeit.« Hmm … einerseits war ich ja froh, dass Anna den Germknödel offenbar verdrängt hatte. Andererseits: Königin hin, Königin her, keiner sollte einen solchen Schwachsinn über Sachsen verzapfen. Annas Papa verspielte zunehmend seine Rolle als mein zukünftiger Schwiegervater. Leider konnten sich die Kids nicht ihre Eltern auswählen. Die Muscheln sind ja auch nicht so schön wie die Perlen darin. Und Anna war eindeutig die Perle aus der Märchenlagune. Schon ihre Stimme ließ in meinem Hirn ein Silvesterfeuerwerk steigen. Trotzdem holte ich tief Luft, um zu protestieren, doch zögerte kurz. Und dann ging mit mir plötzlich Vatis Hang zur sächsischen Selbstironie durch: »Natürlich lebten wir in einem Plattenbau«, sagte ich. Sollen doch die bayrischen Mädels ihren hinterwäldlerischen Ossi-Proll haben. »Zu acht in einer kleinen Wohnung.«
»Und wo sind deine Geschwister jetzt?«
»Im Kinderheim.«
»Willst du uns verarschen?«, fragte Emma.
»Nö! Aber im Plattenbau geht’s ziemlich heftig ab. Jeden Tag passierte dort etwas …«
»Zum Beispiel?«, fragte Katja.
Schön, schön! Die Zeit der Web-Legenden konnte beginnen. Da kannte ich mich aus. Und weil Bayern das Land der Berge und des Wintersports war, fing ich mit dem sächsischen Skifahren an. Trat munter in die Stapfen meines Landsmanns Karl May, der super Bücher über Indianer schrieb, ohne je einen Indianer gesehen zu haben. So wie ich nie in einem Plattenbau gewesen war. Wir hatten in einem Einfamilienhaus gewohnt. Nur musste ich mir zum Glück die Geschichten nicht selbst ausdenken wie Karl May, ich kannte sie aus dem Usernet. Und so legte ich los.
»Im neunten Stock, gleich über unserer Wohnung, wohnt in unserem Plattenbau der Bebbl. Einmal hatte Bebbl einen Kumpel bei sich. Den Fritz. Sie haben Wodka gesoffen. Irgendwann musste Fritz aufs Klo. Hinter der Schüssel standen ein paar Skier.
›Mann!‹, sagte Fritz zu Bebbl, als er zurückkam. ›Wozu hast du die Skier auf dem Klo?‹
›Na, manchmal fahre ich im Treppenhaus Ski, wenn ich Lust habe‹, sagte Bebbl. ›Vom neunten Stock runter ist es eine hübsche Piste.‹
›Das würde ich auch mal gern machen‹, sagte Fritz. Schnell lieh er sich von Bebbl noch Skischuhe und einen Skihelm aus, lief ins Treppenhaus, schlüpfte in die Skibindungen und HUSCH! – schon jagte er nach unten.
›Na, wie war’s?‹, fragte Bebbl als Fritz nach oben zurückkam.
›Super war’s!‹ Fritz keuchte noch. ›Nur habe ich im dritten Stock leider einen Opa zusammengefahren.‹
Dann sind die beiden Suffköppe eingeschlafen, aber in der Früh nach dem Aufwachen, haben sie sich an die Sache wieder erinnert.
›Scheiße!‹, hat Bebbl gesagt. ›Hast du auf der Treppe echt einen Opa überfahren? Im zehnten Stock, gleich über uns, wohnt ein altes Ehepaar, da müssen wir unbedingt nachfragen.‹ Die beiden läuteten also im zehnten Stock. Oma Bretschneider machte auf.
›Könnten wir mit Ihrem Mann sprechen, Oma?‹, fragte Josef.
›Das geht nicht‹, sagte die Oma. ›Man hat ihn mit einem Krankenwagen in die Klinik gebracht.‹
›Was?‹, fragten die zwei. ›War er so schwer verletzt?‹
›Verletzt war er nicht‹, antwortete die Oma. ›Aber er hat die ganze Zeit behauptet, dass ihn in der Nacht auf der Treppe ein Skifahrer im Helm zusammengefahren hatte. Man hat ihn deshalb
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