Kryson 01 - Die Schlacht am Rayhin
Ausgleich der Kräfte. Ohne Licht gab es keine Dunkelheit und umgekehrt. Ohne das Gleichgewicht gab es Chaos und Anarchie. Anarchie jedoch bedeutete früher oder später immer Gewalt und Tod.
Zeitweilige Verschiebungen oder veränderte Strömungen waren üblich, das eine Mal stärker zugunsten der einen, dann wieder der anderen Seite. Diese Regel galt für alles und jeden, auch für die Saijkalrae. Ein Saijkalsan, der sich geprüft und dauerhaft für eine bestimmte Seite entschieden hatte, war von Anfang an verdammt. Er konnte fortan keine Ruhe mehr finden und musste schließlich verzweifeln, bis er am Ende zu einem willenlosen, gefügigen Sklaven desjenigen Saijkalra wurde, dem er sich unterworfen hatte. Seine Seele war für immer verloren.
Jeder Saijkalsan musste zuerst lernen, seine Sinne gänzlich zu öffnen. Sein Zugang lag völlig im Verborgenen. Nur die Suche in sich selbst versprach Erfolg. Erst wenn die Auserwählten nach langen Sonnenwenden und ausreichend vielen Erfahrungen bereit und die Saijkalrae auch willens waren, einen Kandidaten zu akzeptieren, konnte dieser den begehrten Zugang mit ihrer Erlaubnis auch finden. Tat er dies schließlich, war der Zugang meist verschlossen.
Der zweite und entscheidende Schritt zum Saijkalsan war das Öffnen des verschlossenen Zugangs. Der Schlüssel musste gefunden werden. Ein steiniger Weg. Für jeden Saijkalsan forderte der Schlüssel eine schwere Entscheidung im genau richtigen Moment.
Die Saijkalrae galten als äußerst launisch. Sie konnten heimtückisch sein und täuschten ihre Jünger jederzeit nach Belieben. Ihre unbändige Wucht vermochte einen unvorbereiteten oder leichtsinnigen Saijkalsan vollkommen zu überwältigen. Der Zugang durfte immer nur so weit geöffnet werden, wie es zur Erfüllung des gedachten Zwecks unbedingt notwendig war. Klug war derjenige Saijkalsan, der sich nicht blenden ließ und gerade so viel von der Macht der Saijkalsan nutzte, wie er für sich selbst sicher verkraften konnte.
Die beiden Brüder schliefen seit Tausenden von Sonnenwenden. Sie aufzuwecken, herauszufordern oder ihren Zorn zu erregen, hätte fatale Konsequenzen nach sich gezogen. Sie zu entfesseln oder unkontrolliert freizulassen, wäre nicht weniger verheerend gewesen. Jeder Gebrauch ihrer Macht hatte mehr oder weniger schwere Konsequenzen auf die Umwelt. Nicht nur allein für den Anwender, sondern stets auch für andere, für die Natur oder sogar für die ganze Welt. Niemand wusste vorher zu sagen, welchen Preis und welche Bürde sie einem Saijkalsan für die Anwendung ihrer Macht abverlangten. Mal war es gar nichts, mal nur sehr wenig, mal sehr viel und am Ende konnte es vielleicht sogar alles sein, was er zu geben hatte.
Der Preis für die Anwendung der Saijkalrae war keine feste Größe, die man in Gold, Anunzen oder Kristallen messen konnte. Nur eines war für jeden und auch für Sapius von Anfang an sicher gewesen: Der Preis für den Zugang war immer die Einsamkeit des Mächtigen, waren die Verzweiflung und der Schmerz der Verlorenen, war ein unerträgliches Gefühl der Leere in den Zeiten ohne die Kraft der Saijkalrae, wie es ein Süchtiger fühlte, und die mit jeder Sonnenwende immer weiter zunehmende Kälte in den Herzen der Saijkalsan. Sie konnten nie wieder lieben, wenn sie sich erst einmal für die Saijkalrae entschieden hatten. Es war tabu und ein unkalkulierbares Risiko, Freunde zu haben, wenn sie nicht vor Sorge und aus Angst vor den Konsequenzen ihres jeweiligen Handelns verzweifeln wollten. Die einzige Liebe, ihr Leben und ihre Seele gehörten dann voll und ganz den Saijkalrae. Für immer.
Als Gegenleistung gab es im Grunde nur Pflichten und Verantwortung. Und doch erhielten die Saijkalsan Macht, schier grenzenlose Macht, verführerische Macht über andere Lebewesen, schöpferische und zerstörerische Macht über Leben und Tod. Sie durften ein ewig langes Leben führen, wenn es ihnen nicht auf unnatürliche Weise oder gewaltsam genommen wurde. Sie erfuhren ein Gefühl unendlichen Glücks in Zeiten, in denen sie eng verbunden mit der Kraft der Saijkalrae lebten. Aber eigentlich bekamen sie nichts Greifbares für ihre Dienste, denn entweder waren sie auserwählt, ihnen zu dienen, oder sie waren es eben nicht.
Nach vielen Sonnenwenden des Studiums der uralten Schriften über die Saijkalrae aus den Tagen des verlorenen Volkes, der Nno-bei-Maya, nach zahlreichen und langen Reisen durch den Kontinent Ell, nach schönen und bitteren Erfahrungen, nach
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