Kryson 01 - Die Schlacht am Rayhin
gezögert? Es hat Euch wohl gefallen, zuzusehen, wie mich diese widerliche Kreatur geschlagen und begrabscht hat. Ihr Männer seid doch alle gleich! Triebhaft durch und durch. Es macht euch Spaß, hilflose Frauen zu demütigen. Es hat nicht viel gefehlt und Ihr hättet noch wohlwollend zugesehen, wie er mir schweres Unrecht angetan hätte. Ihr hättet mich wahrscheinlich gerne meinem Schicksal überlassen. Ich bin Euch gleichgültig. Sicher dachtet Ihr, ich könnte eine gute Zuchtstute für die Bastarde und grotesken Ausgeburten der Rachuren in ihren unterirdischen Brutstätten abgeben.«
Ihr Tonfall wurde plötzlich wieder etwas sanfter. »Zu fliehen wäre ein Leichtes für Euch gewesen. Was hat Euch am Ende zurückgehalten? War es etwa die Aussicht auf ein gutes Essen und eine angenehme Reisebegleitung?«
Elischa war jetzt wieder empört, fluchte, ließ ihrer Wut freien Lauf, spuckte Gift und Galle, während sie sich das Blut von den Lippen und aus dem Gesicht wischte. Erzürnt, mit leicht fahrigen Bewegungen richtete sie ihre zerwühlten Haare und sammelte ihre ringsherum zerstreut liegenden Sachen ein.
Sapius ließ den Kopf hängen. Im Nachhinein stufte er sein zögerliches Verhalten als feige ein. Im Übrigen war Elischa wunderschön, wenn sie zornig war. »Ihr habt vollkommen recht, Elischa. Ich habe mich Eurer als unwürdig erwiesen, weil ich zögerlich war und eine Zeit lang um meinetwillen tatsächlich an Flucht gedacht habe. Aber eines könnt Ihr mir glauben. Ihr alleine wart es, die mich letztlich zurückhielt. Der Preis, den ich dafür zahlen musste, war eine höchst schmerzliche Erfahrung, wie ich sie mir in dieser Stärke zuvor nie vorzustellen vermocht hätte. Mit einem Bewahrer wärt Ihr weit besser dran gewesen. Ich kann Euch nur um Verzeihung bitten.«
Elischa sah Sapius scharf an, dann entspannten sich ihre Gesichtszüge mit einem Mal wieder. »Wenigstens habt Ihr uns die Patrouille vom Hals geschafft. Wir sind unversehrt geblieben, das ist die Hauptsache«, lenkte sie plötzlich ein. »Aber wir müssen schnellstmöglich aufbrechen. Eure Verwandlung ging nicht gerade leise vonstatten. Andere Rachuren in der Gegend könnten Eure Schreie gehört haben und auf den Plan gerufen worden sein. Lasst uns von hier verschwinden.«
Sapius nickte und erhob sich schwerfällig, indem er sich mit beiden Händen auf den Boden stützte.
Elischa setzte eine besorgte Miene auf. »Könnt Ihr gehen? Ihr seht mitgenommen aus. Was wird aus Eurem Pferd?«, fragte sie vorsichtig.
»Ja, ich kann gehen. Meine Kräfte kommen langsam wieder. Mein Pferd wird uns folgen und schon bald wieder zu uns stoßen. Brechen wir auf«, antwortete Sapius.
Die beiden ließen die toten Rachuren liegen und machten sich weiter auf den Weg in Richtung Rayhin. So schnell Tsairu, die Mittagsröte, gekommen war, so schnell verschwand sie wieder. Die beiden Sonnen schienen am Nachmittag heller und stärker als noch am Vormittag. Der Bodennebel hatte sich inzwischen aufgelöst. Es wurde endlich wärmer. Schon bald erreichten sie den Waldrand. Ein kurzes Wiehern hinter ihnen ließ sie aufhorchen und zauberte ein Lächeln in ihre Gesichter. Sapius’ treues Pferd war ihnen gefolgt und hatte sie eingeholt.
Unmittelbar vor ihnen lag das steil abfallende Flussufer und nur unweit darunter bahnte sich der mächtige Rayhin mit lautem Getöse seinen reißenden Weg durch das breite Flussbett. Der Rayhin hatte seinen Ursprung im nordwestlichen Riesengebirge in der Nähe des Choquai-Passes, der wiederum über etliche Fuß an Höhe das nördlichste der besiedelten Klangebiete, das vom Rest der Nno-bei-Klan-Gebiete ansonsten abgeschnittene Fürstentum der Alchovis, als einziger Zugangsweg über Land verband. Der Choquai-Pass war gleichzeitig die einzige Handelsroute für Karawanen, die zu der reichen Hauptstadt des Nordens, Eisbergen, dem Stammsitz der Alchovis, führte, und lediglich während einer kurzen Zeitspanne im Sommer begehbar. Im Übrigen konnte Eisbergen nur über den Seeweg erreicht werden. Über eine weite Strecke trennte der Rayhin in einer sich stetig schlängelnden Linie die nördlichen Klangebiete von den berüchtigten Sumpfgebieten und weitestgehend unbewohnbaren Grenzlanden im Westen des Kontinents Ell, den zentral gelegenen Wäldern inmitten des Klanlandes und den reichen, überwiegend landwirtschaftlich genutzten Küstenstreifen im Osten, wo er schließlich im großen Ostmeer endete. Der Rayhin wurde von den Klan verehrt, denn er
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