Kryson 02 - Diener des dunklen Hirten.epub
wirkten anmutig. Renlasol versank in der tiefen Schwärze ihrer Augen, die ihn fixierten und nicht mehr losließen. Gerade als er das Fenster öffnen wollte, um zu dem Mädchen hinauszusteigen, packte Zachykaheira den Knappen am Kragen, zog ihn mit Gewalt vom Fenster weg, warf ihn unsanft auf den Boden und hielt ihn dort mit seinem Körpergewicht und der Überlegenheit eines betagten Bewahrers fest.
»Was ist mit Euch los?«, fragte Zachykaheira wütend, »seid Ihr verrückt?«
Renlasol keuchte unter dem Gewicht des Letztgängers und war wie benommen von den gespenstischen Eindrücken und den Einflüsterungen des Mädchens, die ihn in ihren Bann gezogen hatten.
»Ich konnte ihre Stimme hören«, antwortete er. »Es war, als stünde sie direkt neben mir. Sie rief mich. Wer ist das Mädchen?«
»Was interessiert Euch das?«, sagte Zachykaheira. »Sie ist irgendein Mädchen. Wahrscheinlich war sie einst ein einfaches Bauernkind aus der Gegend. Kein Klan weiß, wer sie wirklich ist und woher sie kommt. Das ist auch nicht wichtig. Heute ist sie jedenfalls ein Königskind. Eine der Seinen. Quadalkars engste Vertraute und rechte Hand, soweit ich weiß. Sie wird Yabara genannt, zumindest habe ich diesen Namen schon einmal gehört.«
»Aber sie ist doch noch ein Kind«, warf Renlasol ein.
»Lasst Euch nicht von ihrem Äußeren täuschen, sie ist viel älter, als sie aussieht. Uralt, schätze ich. Außerdem sehr stark und äußerst gerissen. Es wäre töricht, sich mit ihr anzulegen oder ihren Verlockungen zu folgen. Ihr wärt im Handumdrehen ausgesaugt«, meinte Zachykaheira.
»Und der Junge?«, fragte Renlasol.
»Es wird gesagt, sie seien Geschwister. Auserkoren von Quadalkar persönlich vor mehr als tausend Sonnenwenden, um ihm treu über die Zeit zur Seite zu stehen. Yabara und Nochtaro«, ergänzte Zachykaheira.
Die Stimme Yabaras verfolgte Renlasol. Ihr Flüstern wurde drängender und dröhnte in seinem Schädel. Er hielt sich mit beiden Händen die Ohren zu, doch das nutzte nichts.
Komm zu mir, hörte er die Stimme des Mädchens immer wieder. Komm und diene mir und meinem Vater. Wir werden dich reich belohnen.«
Bilder des Schreckens erschienen in seinem Kopf, die seinen Verstand auf eine harte Probe stellten. Bluttrinker, die im Blut ihrer Opfer badeten. Nackte Leiber, die sich schwitzend aneinanderrieben und währenddessen gegenseitig von ihrem Blut kosteten. Ein finsterer Mann in einer langen Robe zeigte sich ihm, auf einem Thron voller Dornen sitzend, sein Körper wies zahlreiche blutende Wunden auf, an denen sich viele Kriecher begierig nährten. Das Gesicht des auf den Dornen Thronenden veränderte sich ständig. Mal schien er alt, im nächsten Augenblick jung, dann wieder krank, nur um kurz darauf vor Kraft zu strotzen, und am Ende wirkte er, als wäre sein Gesicht aus Wachs und würde in der Hitze eines Feuers zerfließen. Der Knappe spürte, dass hinter dem Bild des Mannes mehr steckte. Mit Fingern, die Klauen glichen, zeigte der Mann auf Renlasol und lachte. Er lachte den Knappen aus. Verhöhnte ihn offen mit den Worten: Was willst du kleiner, dummer Junge.
Von dieser Erscheinung ging eine Macht aus, die Renlasol durch ein Kribbeln auf der Haut fühlen konnte und die ihn zutiefst erschreckte.
Komm. Ich nehme dich mit in die Ewigkeit.
»Nein!«, schrie Renlasol.
Ich finde dich. Du gehörst mir , rief das Mädchen schließlich zornig und verstummte.
Als die Stimme endlich aus seinem Kopf verschwunden war, beruhigte sich der Knappe. Schweißperlen standen auf seiner Stirn und sein Atem ging schwer. Zachykaheira ließ ihn sofort los, nachdem er gemerkt hatte, dass Renlasol keinen Widerstand mehr leistete. Er hatte Mühe gehabt, den Jungen am Boden zu halten, während dieser sich, gewaltsam gehindert den Einflüsterungen nachzukommen, wie wild gebärdet hatte.
»Das war knapp«, meinte Zachykaheira im Aufstehen. Der Letztgänger reichte Renlasol eine Hand, die dieser dankbar annahm und sich sogleich auf die zitternden Beine ziehen ließ.
»Ihr solltet wirklich auf mich hören. Ich mag in Euren Augen alt sein. Womöglich schon zu alt für diese Aufgabe auf meinem allerletzten Gang«, meinte Zachykaheira leise, »aber ich bin nicht senil, obwohl dies hier in der Hütte schnell geschehen könnte. Schneller, als wir denken. Ich habe schon alles gesehen, was es zu sehen gibt. Und mit den Bluttrinkern ist nicht zu spaßen. Wäre ich einige Sonnenwenden jünger und beweglicher, hätte ich vielleicht
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