Kryson 03 - Zeit der Dämmerung
sich erst noch herausstellen. Es wurde gemunkelt, ein Fluch laste auf dem Kind. Von einer schweren Bürde der Kojos für die Eltern war die Rede, welche die Anwesenheit eines höheren Praisters aus Tut-El-Baya erforderte, der – trotz der Abneigung des Fürsten gegen die Praisterschaft – bald nach seiner Ankunft in den engsten Beraterkreis des Fürsten aufgestiegen war und seither nicht mehr von dessen Seite wich. Das war kein gutes Zeichen, denn in Eisbergen gab es zwar von jeher einige Praister, die allerdings unter den Einwohnern der Stadt aufgrund ihrer zweifelhaften Vergangenheit kein sehr hohes Vertrauen genossen. Die Gerüchte wurden durch die rasante Entwicklung des Kindes noch verstärkt. Das Wissen des Kindes war binnen kürzester Zeit enorm gewachsen und stand dem eines erfahrenen Schriftgelehrten in nichts nach. Obwohl ihn das kindliche und altersentsprechende Aussehen vor die Schwierigkeit stellte, nicht in jedem Fall ernst genommen zu werden oder sich ausreichend Gehör bei den Erwachsenen zu verschaffen, redete und verhielt er sich in vielen Situationen, als ob er tatsächlich ein Gelehrter wäre.
Der Lesvaraq war neugierig und abenteuerlustig. Bald schon ging er seiner eigenen Wege und war auf die Amme nicht mehr angewiesen.
»Behalte deine Milch«, hatte Tomal eines Tages zu deren Leidwesen zu Elischa gesagt, »… oder gib sie anderen Kindern, die sie nötiger haben als ich. Ich bin ein Lesvaraq und brauche dich nicht mehr.«
»Aber ich bin …«, hatte Elischa die aufkommenden Tränen und die auf ihren Lippen liegenden Worte »deine Mutter« hinuntergeschluckt, »…vergiss es. Ich bin nur eine Amme. Wenn es dein Wunsch ist, mich so früh zu verlassen, so soll es mir recht sein.«
»Mutter wird dich gewiss reich für deine Dienste entschädigen und Vater wird einen Platz für dich finden, an dem es dir gut ergehen wird. Ich will nicht undankbar sein. Du hast mir über die ersten Monde geholfen und dich um mich gekümmert. Aber das war gestern. Jetzt muss ich in die Zukunft blicken.«
Die Worte ihres Sohnes und die Kälte in dessen Tonfall schmerzten Elischa und versetzten ihr einen Stich mitten ins Herz. Sie hätte gedacht, dass Tomal früher oder später dahinterkommen würde, wer seine wahren Eltern waren. Nach nur wenigen Monden versetzte er ihr einen solchen Schlag. Sie war seine Mutter und würde es immer bleiben. Tomal war Madhrabs und ihr leiblicher Sohn. Wie konnte er sie auf diese Weise ablehnen, selbst wenn er bewusst in der Vorstellung gelassen wurde, er sei der Sohn der Fürstin Alvara und des Fürsten Corusal Alchovi? Wie sehr wünschte sie sich, Madhrab wäre jetzt hier und würde ihr zur Seite stehen. Sie brauchte den Bewahrer und wenn er ihr nur Trost hätte spenden können. Aber Tomal schien ein besonderes Verhältnis zu Madhrab zu entwickeln, was die Orna glücklich stimmte. Verhielt sich Tomal ihr gegenüber jedoch entsprechend kalt, fiel es ihr schwer, zu widerstehen und ihm nicht einfach die Wahrheit über seine Herkunft ins Gesicht zu sagen. Vielleicht würde er dann anders reagieren.
Der Lesvaraq wusste und erkannte erschreckend vieles, seine Abstammung schien er jedoch nicht erraten zu können. Das Wissen über Kryson und all die Zusammenhänge des Gleichgewichtes nebst der Anwendung von Magie musste angeboren sein, er konnte es sich unmöglich in so kurzer Zeit nach der Geburt angeeignet haben. Einen weiteren Verdacht hegte die Orna, nachdem der Lesvaraq sie des Öfteren nach dem Bewahrer des Nordens gefragt hatte. Ihre Informationen über Madhrab verschlang er geradezu. Auf eigenartige Weise bewunderte er den Lordmaster und machte ihn sich zum Vorbild, obwohl er diesen nicht sehr oft gesehen hatte.
»Madhrab ist ein wahrer Krieger«, sagte Tomal, wenn er mit seinen Schneetigern im Schnee tollte und sie ihre Kräfte miteinander maßen, »begnadet, unbesiegbar und mit einer Gabe der Kojos ausgestattet. Eines Tages möchte ich so sein wie er.«
»Das wäre nicht der schlechteste Wunsch«, pflegte Baylhard ihm dann zu antworten. »Lordmaster Madhrab ist fürwahr ein Krieger und vielmehr noch ist er ein Held, wie es keinen anderen gibt.«
»Kommt er bald wieder?«, wollte Tomal wissen.
»Er wird bestimmt kommen, um dich und die Orna zu sehen«, antwortete Baylhard. »Wann das sein wird, wissen wir nicht. Ich nehme an, dass er erst einige Aufgaben zu erledigen hat, bevor er wieder nach Eisbergen kommen wird.«
»Was sind das für Aufgaben und was will er mit der
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