Kryson 03 - Zeit der Dämmerung
wusste, von jeher die Dunkelheit. Aber war er in der Lage, das Gleichgewicht dermaßen zu beeinflussen?
Sie wusste es nicht. Was nutzte das Wissen darüber? Letztlich kam es darauf an, ob das Schlimmste verhindert werden konnte und die Klan eine Möglichkeit zu überleben fanden. Wenn es sein musste, würde Eisbergen womöglich zu einer letzten Zuflucht des Lichts werden.
O Madhrab, als hättest du das Übel geahnt, zogst zur rechten Zeit mitten hinein, um es zu bekämpfen, als wäre es deine Bestimmung. Bitte, gib acht auf dich! , flehte sie im Stillen.
Sie fürchtete sich davor, den Lordmaster nie wieder zu sehen. Seit Tagen plagten sie schwere Albträume, deren Bilder zum Greifen nahe und echt wirkten. Ein Gefühl des Abschieds – eines Abschieds für immer – ging mit den Bildern einher. Die nächtlichen Träume belasteten sie, denn sie wusste, dass sie als Orna über visionäre Fähigkeiten verfügte, die sich manchmal nur schwer von den sich nie erfüllenden Träumen unterschieden. Am Tag versuchte sie die Träume zu vergessen oder mindestens zu verdrängen, was ihr nicht immer gelang, denn zu oft hatten sie sich zuletzt in ähnlicher Weise wiederholt. Sie hatte versucht Madhrab zu warnen, doch in ihrem Traum war er in eine Falle geraten, aus der es für ihn kein Entrinnen mehr gab. Trotz seiner Stärke und des unbändigen Überlebenswillens begegnete er einem Gegner, dem er nicht gewachsen war, und unterlag im Kampf. Er war verloren. Jeder ihrer Träume endete auf diese Weise, und sie tat sich schwer, das Gesehene einzuordnen.
Elischa hatte niemanden hereinkommen hören, als sie plötzlich den eiskalten Stahl einer scharfen Klinge an ihrem Hals spürte und eine kräftige Hand auf ihrer Stirn, die ihren Kopf nach hinten drückte. Sie bemerkte, wie warmes Blut ihren Hals hinabrann.
»Wo ist das Kind?«, flüsterte eine Stimme an ihrem Ohr.
»Welches Kind?«, fragte Elischa und stellte sich bewusst unwissend.
»Willst du mich mit einer der schärfsten Schneiden auf ganz Ell am Hals zum Narren halten? Das dachten andere vor dir zu ihrem Unglück auch schon. Die Klinge ist scharf, aber es dauert einige schmerzhafte Augenblicke, bis sie den Hals durchtrennt hat und der Körper langsam ausblutet. Ein wahrlich schöner Anblick, das pulsierende Blut wie einen Springbrunnen des versiegenden Lebens zu beobachten. Die heilige Mutter wollte nicht zu den Schatten gehen und wehrte sich, aber am Ende wurde sie schwächer und schwächer. Lordmaster Kaysahan und der Letztgänger im Haus des hohen Vaters taten sich mit ihrem Ende leichter und haben ihren Gang zu den Schatten kaum bemerkt. So ging es den meisten, die meiner Klinge zum Opfer fielen.«
»Was willst du von mir?«, keuchte Elischa.
Panik überfiel sie. Es hatte einen Moment gedauert, bis sie die Situation voll erfasst hatte, doch danach war der Schreck umso größer. Ihre Beine begannen zu zittern und sie hatte Mühe, ihre Blase zu kontrollieren. Nie zuvor hatte sie solche Todesangst verspürt. Elischa kannte sich selbst nicht mehr, hatte die größte Angst noch nicht einmal um ihr eigenes Leben, sondern um das ihrer Lieben. Wie war die Schattengestalt unbemerkt in ihre Kammer gelangt? Wo waren die Wachen? Wer war dieser Mann? Warum war Madhrab fort und konnte ihr nicht helfen? Längst hatte sie den schwarzen Schatten, der sie bei ihrer Flucht über weite Strecken wie eine drückende Last verfolgt hatte, aus ihren Gedanken verdrängt. Doch nun stand er völlig überraschend unmittelbar hinter ihr, hatte die günstigste Gelegenheit genutzt, sich gezielt an sie herangeschlichen und drückte ihr seine Klinge an den Hals.
Ist dies mein Ende? Muss ich, verlassen von allen und einsam, auf solch grauenhafte Weise sterben wie die heilige Mutter?, ging ihr ein schrecklicher Gedanke durch den Kopf.
Sie erinnerte sich gut an die Bilder, als sie die heilige Mutter mit vor Schreck geweiteten Augen und aufgeschnittenem Hals gesehen hatte. Wie konnte sie dies je vergessen?
»Wer bist du?«, traute sie sich nur flüsternd zu fragen.
»Das willst du nicht wissen!«, behauptete die Gestalt und drückte die Klinge ein Stück tiefer in ihren Hals. »Beantworte meine Frage, ich kann riechen, dass du erst vor einigen Monden ein Kind geboren hast. Das Kind gehört dem Orden. Also, sage mir, wo du es versteckt hältst.«
»Ich habe es verloren«, antwortete Elischa mit heiserer Stimme, während ihr heiße Tränen über das Gesicht liefen.
Sie hatte nicht einmal gelogen und
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