Kryson 03 - Zeit der Dämmerung
ist mir nicht entgangen«, log Chromlion, dessen Blick verstohlen in Richtung der Türme wanderte, »steh auf und läute die Wachen und die Dienerschaft des Hauses zusammen. Wir sind hungrig und durstig und wollen speisen.«
»Sehr wohl, Herr«, bestätigte Maagal den Befehl.
Der Torwächter sprang auf, ohne den Fürsten dabei anzusehen und eilte mit seinen zu kurz geratenen Beinen an eine große, frei stehende goldene Glocke hinter dem Torhaus. Ihr Klang war dunkel, durchdringend und satt. Es dauerte nicht lange, da standen Wachen und Dienerschaft des Hauses Fallwas vereint im Innenhof. Manche wirkten schlaftrunken und hatten sich nur rasch ein Gewand übergeworfen. Andere blickten die Neuankömmlinge aufmerksam und neugierig an. Sie waren offenbar froh, nach den Monden der Abgeschiedenheit neue Gesichter zu sehen. Wieder andere wirkten skeptisch ob der Anwesenheit des Bewahrers und maßen ihn mit ablehnenden Blicken. Er war niemals dazu auserkoren, die Nachfolge des Fürsten Fallwas anzutreten, und hatte sich in der Zeit, in der er unter den Ordenbrüdern weilte, nicht im Fürstenhaus blicken lassen.
Der Fürst musterte die versammelte Dienerschaft. Er wusste, was sie dachten. Sie waren seinem Vater treu und ergeben gewesen. Er musste sich dieses Privileg erst verdienen. Allerdings hatte er sich noch nicht entschieden, wie er damit umgehen sollte. Es gab den harten oder den sanften Weg. Die goldene Mitte dazwischen lag ihm überhaupt nicht. Chromlion neigte eher zu der harten und gestrengen Weise. Er würde sich durchsetzen, so oder so. Einen Umgang, der von eiserner Disziplin, Strenge, Gewalt und Bestrafung geprägt war, hatte in seinen Augen einen entscheidenden Vorteil: Die Angst würde sie gefügig machen. Aber welche Wahl hatten sie? Keine, die an ihm als Fürst vorbeigeführt hätte. Daher mussten sie ihn als ihren neuen Fürsten anerkennen und respektieren. Einige der älteren Gesichter kamen ihm bekannt vor, obwohl er lange nicht mehr in der Burg gewesen war. Andere hatte Chromlion nie zuvor gesehen. Aber das Gesicht der für die Mägde verantwortlichen Köchin kannte er. Die alte Klan hatte sich als Magd im Hause des Fürsten über die Sonnenwenden ihrer Dienste emporgearbeitet. Ihr Name war Acerba. Sie war fett, groß und trug ihr bereits zu großen Teilen ergrautes, blondes Haar in weit geflochtenen Zöpfen. Mägde, Diener und Wachen fürchteten sie gleichermaßen. Sie besaß ein ausgesprochen lautes Organ, sodass den Untergebenen die Ohren klingelten, wenn sie es wutentbrannt zum Einsatz brachte. Und das tat sie oft. Ihre aufbrausende Art war berüchtigt unter den Bediensteten. Acerba war es, die das Zepter in Küche und Hof schwang und das wohl strengste Regiment führte, das sich ein Klan vorstellen konnte.
Elischa hatte ein ungutes Gefühl dabei, als sie der Blick der Aufseherin traf und hasserfüllt an ihr hängen blieb. Dieser Blick verhieß der Orna nichts Gutes. Die Augen der Köchin waren klein und rund und verschwanden beinahe in den zu tief liegenden Augenhöhlen und hinter den wulstigen Wangen. Chromlion sprach Acerba direkt an.
»Ah«, schmeichelte der Fürst, »wen sehe ich denn da? Ein altbekanntes Gesicht. Es ist mir eine Freude, dich zu sehen, Acerba.«
Die Köchin senkte den Blick und machte einen tiefen Knicks vor dem Fürsten.
»Es ist mir eine große Ehre, mein Fürst«, sagte Acerba schließlich.
»Nun … ich habe dir jemanden mitgebracht.« Chromlion nickte mit dem Kopf in Richtung Elischa, sodass es der Orna ob der offen gezeigten Ablehnung durch Acerba heiß und kalt den Rücken hinunterlief. »Sie wird dir bei schweren und schmutzigen Diensten gern zur Hand gehen. Ihr Name ist Elischa und sie ist die niederste Magd in unserem Hause. Achte auf sie und lass sie nicht entfliehen!« Schließlich wandt er sich an die gesamte Dienerschaft: »Ihr alle werdet ein Auge auf sie haben. Wer ihr zur Flucht verhilft oder die Beobachtung vernachlässigt, wird meinen Zorn zu spüren bekommen. Ich gebe sie in deine Obhut, Acerba.«
Der Gesichtsausdruck Acerbas änderte sich sofort, als sie die Worte des Fürsten vernommen hatte. Ihr breites Gesicht verzog sich zu einem noch breiteren Grinsen, das einige Zahnlücken in ihrem Mund offenbarte.
»Das ist sehr großzügig von Euch, mein Fürst«, verneigte sich Acerba, »Ihr könnt Euch gewiss sein, ich werde sie gut gebrauchen können und in die Gepflogenheiten des Hauses einweisen.«
»Dessen bin ich mir sicher«, antwortete Chromlion,
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