Kryson 03 - Zeit der Dämmerung
still war. Das mochte sich ändern, aber er hatte bislang kein verdächtiges Geräusch wahrgenommen.
Madhrab hatte nicht bemerkt, dass er während der Rast eingeschlafen war. Ein schrecklicher Albtraum plagte ihn. Der Lordmaster befand sich gefangen und in Ketten gelegt in einem engen Käfig, der einige Fuß über dem Wasser hing. Die Ketten zwangen ihn zur Bewegungslosigkeit. Hilflos musste er durch die Gitterstäbe beobachten, wie Elischa von zwei Männern entführt wurde. Den einen erkannte er als seinen ärgsten Widersacher. Lordmaster Chromlion, den er in der Gefangenschaft bei den Eiskriegern wähnte. Der andere sah Boijakmar zum Verwechseln ähnlich. Nur wirkte dieser, im Gegensatz zum hohen Vater, jünger und in seiner Ausstrahlung sehr düster, geradezu boshaft.
Elischas verzweifelte Blicke fanden den Käfig und sie rief und winkte ihm zu: »Madhrab, was hast du uns nur angetan? Ich brauche dich! Hilf mir und hilf vor allen Dingen dir selbst!« Aber der Lordmaster konnte ihr nicht helfen, und er wusste nicht, was er für sich selbst hätte tun sollen. Ein fürchterlich schmerzliches Gefühl sagte ihm, dass Elischa genauso verloren war wie er selbst. Tatenlos musste er zusehen, wie die Orna grün und blau geschlagen wurde, sie immer wieder missbraucht, ihr Körper und ihr Geist stets aufs Neue geschunden wurden. Ihr Wille zerbrach und sie sah ihn traurig und teilnahmslos aus stumpfen Augen an. »Warum hilfst du mir nicht? Ich liebe dich doch, Madhrab«, hörte er ihre Stimme voller Enttäuschung und bar jeder Hoffnung sagen. Ihre Verzweiflung drohte ihm das Herz zu zerreißen und trieb ihm die Tränen in die Augen. Er wollte aufwachen, doch der Traum hielt ihn gefesselt. Madhrab erblickte eine Elischa, die ein Kind erwartete und es sogleich blutend wieder verlor. Schon im nächsten Augenblick lag sie, nur noch ein Hauch ihrer selbst, schreiend vor Schmerzen in den Wehen und gebar ein anderes Kind. Kaum war sie von der Geburt wieder aufgestanden, wurde sie erneut geschlagen und noch am Boden liegend fortwährend in den Bauch getreten. Sie blutete wieder, drohte zu verbluten, bis ihr Bild vor seinen Augen plötzlich verblasste und ihn die verwüstete Fratze Sicks angrinste. »Ich bin nicht Sick«, bewegten sich die Lippen des Gegenübers, das durch die Gitterstäbe sah, »ich bin Madsick. Du solltest mich kennen, Bewahrer.« Madsick holte eine Flöte hervor, steckte sich diese zwischen die nicht vorhandenen Lippen in die Zähne und spielte ein Lied, das Madhrab fürchterlich in den Ohren schmerzte. »Gefällt dir meine Musik nicht?, fragte Madsick gehässig. »Dann stirb!« Statt einer Flöte hielt Madsick plötzlich ein Messer in der Hand und schnitt das den Käfig haltende Seil durch. Der Käfig stürzte mit Madhrab in die Fluten. Bevor er im Wasser unterging, hörte er das gehässige Lachen Madsicks. »Traue nichts und niemandem, Madhrab. Alle verraten dich. Hast du das denn nicht gelernt?« Der Käfig tauchte unter und versank mitsamt dem Bewahrer in den Fluten. Madhrab versuchte die Luft anzuhalten, bis seine Lungen brannten und er den Mund schließlich öffnen musste, um das drängende Wasser in seinen Körper hereinzulassen und zu ertrinken.
Der Lordmaster schreckte hoch. Ihm war, als hätte er eine sanfte Berührung an der Schulter gespürt. Er fragte sich, ob er tatsächlich geschlafen und bloß geträumt hatte. Die Träume hatten so echt gewirkt. Wie war das möglich, dass er den Unterschied zwischen Wachen und Schlafen nicht bemerkt hatte?
Verwundert sah sich Madhrab um. Nichts hatte sich verändert. Immer noch umgeben von einem tristen Grau saß er mit dem Rücken an die Wand gelehnt an der Stelle des Ganges, an der er sich zuletzt niedergelassen hatte. Die Berührung musste er sich eingebildet haben. In seiner näheren Umgebung konnte er niemanden entdecken. Madhrab streckte die steifen Glieder von sich, stand auf und schlug prompt mit dem Kopf gegen die Decke. Der kurze Schmerz und der anschließend seinen Lippen entweichende Fluch halfen, ihn vollends wach werden zu lassen.
Der Lordmaster folgte der Richtung, die er schon zuvor eingeschlagen hatte. Und wieder führte ihn sein Weg in eine nach oben offene runde Kammer mit acht rundherum verteilten Öffnungen, die dem Ausgangsort wie ein Haar dem anderen glich. Zutiefst irritiert und verunsichert ob der Orientierungslosigkeit entschied er sich für eine andere Öffnung. Doch der für den weiteren Weg gewählte Gang unterschied sich in nichts
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