Kryson 04 - Das verlorene Volk
verbittert, »am Ende bleiben mir weder Tomal noch Madhrab. Ich habe sie beide verloren.«
Der Abschied von Madhrab war ihr nicht leichtgefallen. Und das stellte noch eine arge Untertreibung dar. Es hatte ihr das Herz geborchen. Elischa wusste, sie würde in ihrem Leben keine Freude mehr empfinden. Tief in ihrem Inneren spürte sie, dass sie Madhrab niemals wiedersehen würde. Ihre Liebe war verloren. Der einzige Trost bestand darin, dass sie diese vielleicht schon vor langer Zeit verloren hatte. Elischa fürchtete sich jedoch vor der Endgültigkeit ihrer Entscheidung. Abersie mussten beide ihrer Wege gehen. Ihr Platz war nicht an seiner Seite. Nicht mehr. Sie gehörte in das Haus der heiligen Mutter, ob es den Ordensschwestern gefallen mochte oder nicht. Die Not ihrer Schwestern war deutlich spürbar. Hätten sie ihre Rückkehr nicht gewollt oder nach ihren Wahrnehmungen sogar verlangt, hätte sie gänzlich andere Signale aus dem Haus empfangen.
Zwei junge Ordensschwestern näherten sich ihr. Elischa kannte weder die eine noch die andere. Sie mussten jüngst in den Orden der Orna aufgenommen worden sein. Dem Aussehen und Alter nach zu urteilen, konnten sie ihre Prüfungen noch nicht allzu lange bestanden haben.
Elischa wunderte sich über die beiden Schwestern. Entweder waren sie sehr talentiert oder die Ausbildung war deutlich verkürzt worden. Etwas anderes kam für Elischa nicht in Betracht. Aber sie hatten die Tracht der Schülerinnen eindeutig abgelegt und trugen stattdessen die Gewänder der geprüften und in die Schwesternschaft ordentlich aufgenommenen Orna. Dennoch gaben sie ein ungleiches, höchst eigenwilliges Erscheinungsbild ab.
»Wir grüßen dich, Schwesterherz«, sagte die kleinere der beiden Orna, »ich bin Milana, und die große, dürre Bohnenstange mit dem einfältigen Grinsen im Gesicht ist Laraya.«
»Danke, mein Name ist Elischa. Ihr seid Orna?«, antwortete Elischa im ersten Augenblick entsetzt über die leichte Rede. »Zu meiner Zeit im Haus hätte niemand von uns gewagt, so zu sprechen und vor einer Fremden schon gar nicht über eine andere Ordensschwester.«
»Oh … Ihr findet meine Rede anstößig?«, fragte Milana leicht pikiert. »Das war zwar vergleichsweise harmlos, aber ich entschuldige mich bei Euch. Ich vergaß wohl, dass Ihr sehr lange nicht mehr im Haus der heiligen Mutter wart. Ihr seid uns nicht fremd, Elischa. Im Gegenteil. Wir kennen Euch,stehen seit einiger Zeit gemeinsam mit unseren Schwestern mit Euren Gedanken in Verbindung. Es tut mir leid, sollte ich Euch schockiert haben. Aber Laraya ist meine beste Freundin und nimmt mir die Worte bestimmt nicht übel. Im umgekehrten Fall, stellte sie mich Euch vor, würde sie mich die kleine Dicke mit den Schweinebäckchen und dem losen Mundwerk nennen.«
»Das ist wohl wahr«, bestätigte Laraya kühl lächelnd, »die Zeiten ändern sich. Unter Hegoria ist der Umgang mit den Regeln lockerer geworden, sagen die älteren Schwestern. Wir haben Hegorias Vorgängerin zum Glück nicht mehr kennengelernt. Die Alte soll sehr streng und zuweilen ungerecht gewesen sein, bis ihr endlich der Hals durchgeschnitten wurde.«
»Das ist …«, Elischa schluckte die ihr auf den Lippen liegende Bemerkung hinunter.
Die Worte der Schwestern versetzten Elischa einen Stich ins Herz. Sie sprachen von der heiligen Mutter, ihrer heiligen Mutter, als wäre sie ein Übel für den Orden gewesen. Elischa empfand dies als Beleidigung. Wie konnten diese beiden Gören das Andenken an die Ermordete nur so in den Schmutz zerren! Elischa musste sich zusammenreißen, um nicht sofort wieder umzudrehen und Madhrab nachzureiten. Noch wäre es nicht zu spät gewesen. Er konnte nicht weit gekommen sein. Je länger sie jedoch darüber nachdachte, umso deutlicher wurde es Elischa, dass der Orden sie brauchte. Mehr als jemals zuvor. Etwas stimmte im Haus der heiligen Mutter ganz und gar nicht.
»Das muss mir aber nicht gefallen …«, sagte Elischa in tadelndem, allerdings noch immer zurückhaltendem Tonfall, »… überhaupt nicht. Es zeugt von Respektlosigkeit und mangelnder Disziplin. Die Ordensregeln – so ich sie kenne – waren in dieser Hinsicht sehr streng und duldeten keine Ausnahme.«
»Nun habt Euch doch nicht so«, sagte Milana, »wir freuenuns darüber, dass Ihr endlich in den Orden zurückkehrt. Ihr werdet sehen, es hat sich vieles verändert.«
»Zum Guten wie zum Schlechten«, ergänzte Laraya.
»Auf die schlechten Veränderungen bin ich wirklich
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