Kryson 04 - Das verlorene Volk
sie richtig, möglicherweise halfen ihm aber seine Fähigkeiten als Lesvaraq. Als sie schließlich an der Pforte zur zweiten Schwelle angelangt waren, klopfte Tomal an das Tor. Die Pforte öffnete sich wie von Geisterhand selbst. Sie traten ungehindert hindurch. Erst als der letzte der Maya die Schwelle überschritten hatte, schloss sich die Tür wieder. Sie durchquerten die Höhle vor der Pforte und gelangten in die leere Arena. Die Erinnerung an den fürchterlichen Kampf gegen Daleima war noch frisch und quälte den Lesvaraq. Er hatte sie zwar am Ende besiegt. Aber dieser Sieg ließ einen bitteren Beigeschmack zurück. Im Schwertkampf hätte er die exzellente Kämpferin niemals bezwingen können. Er war ihr deutlich unterlegen. Gewiss hätte er den Kampf verloren. Stattdessen hatte er sich nun schon zum dritten Mal Jafdabhs Waffe bedient, die ihn mit einer Leichtigkeit gewinnen ließ, dass ihm angst und bange wurde.
Das Bewusstsein einer wahrscheinlichen Niederlage nagte an seinem Selbstwertgefühl, hatte es ihm doch deutlich seine Schwächen aufgezeigt. Aber der Lesvaraq wollte nicht auf eine Waffe der Klan angewiesen sein. Allzu deutlich hatten ihm Daleima wie auch Tarratar zuvor vor Augen geführt, dass ernach wie vor ein Anfänger und bei all seinen Stärken und Fähigkeiten längst noch nicht ausgereift war. Tomal hatte noch viel zu lernen.
Der Lesvaraq wollte die Arena schnell hinter sich lassen und beschleunigte seine Schritte. Aber am anderen Ende sammelten sich Schatten, die ihnen den Ausgang versperrten.
»Wie viel Zeit habt Ihr benötigt, uns zu finden?«, wollte Saykara plötzlich wissen. »Der Aufmarsch der Schatten riecht nach Ärger!«
»Ich weiß es nicht«, sagte Tomal, »seit ich das Reich der Schatten betrat, habe ich jedes Gefühl für die Zeit verloren. Es können eine Hora, ein Tag, Monde oder Sonnenwenden gewesen sein. Mir kommt es jedenfalls wie eine Ewigkeit vor.«
Die Schatten näherten sich rasch und sie flüsterten. Tomal konnte ihre Worte verstehen.
»Niemand verlässt das Reich der Schatten ohne unseren Willen«, sagten sie. »Ihr seid alle tot und müsst bleiben.«
In diesem Moment wusste Tomal, dass er seine Zeit überschritten hatte. Einen Tag hatten sie ihm gewährt. Danach würde der Rückweg ungleich schwieriger werden. Der Lesvaraq wirkte aufgeregt, Tarratar hatte ihn gewarnt.
»Ruhig Blut, wir stehen Euch gegen die Schatten bei«, sagte Saykara.
»Wie wollt Ihr das anstellen? Ihr verweilt mit Eurem Volk seit fünftausend Sonnenwenden in ihrem Reich.«
»Genau«, erwiderte die Königin der Maya, »wir haben viel über sie gelernt, was sie mögen und was nicht. Und es ist ihnen in all der Zeit nicht gelungen, uns zu bezwingen. Wir haben nicht vergessen, wer wir sind. Niemand unter den Lebenden konnte gegen die Schatten bestehen … außer den Maya. Die Ironie unseres Schicksals ist, dass uns Ulljan ausgerechnet hierher zu ihnen verbannt hat.«
Saykara rief laut einige Namen. Sofort eilten die Genanntenan ihre Seite. Frauen wie Männer. Tomal nahm an, dass sich auch einige Krieger darunter befanden. Jedenfalls sahen sie aus, als besäßen sie Erfahrung im Kampf. Vier der Maya zogen Musikinstrumente aus ihren Gewändern. Darunter befanden sich eine Leier, eine Hirtenflöte, eine kleine Trommel und ein hölzernes Streichinstrument, das der Lesvaraq noch nie zuvor gesehen hatte. Ein fünfter Maya gab den Takt mit einem Stock vor. Auf sein Kopfnicken hin begannen sie zu spielen.
»Sobald sich die Schatten in einem tanzenden Reigen befinden und einen Kreis gebildet haben, geht Ihr mit dem Rest meines Volkes vor«, flüsterte ihm Saykara ins Ohr, »wir halten sie so lange in der Arena fest, bis Ihr an der ersten Schwelle angekommen seid.«
»Und was wird aus Euch und den Musikanten?«, fragte Tomal.
»Wartet dort auf uns. Wir kommen bald nach. Die Maya musizieren auch, während sie laufen«, sagte sie und zwinkerte ihm aufmunternd zu. »Sollten Euch unterwegs weitere Schatten begegnen, müsst Ihr vorerst selbst mit ihnen fertigwerden. Ich denke aber, die meisten dürften sich in der Arena versammelt haben, um uns aufzuhalten.«
Die Maya spielten ein fröhliches Lied, das ausgezeichnet zu jedem Fest gepasst hätte, bei dem meist in den späten Horas zum Tanz aufgespielt wurde. Die Wirkung der Musik auf die Schatten war erstaunlich. Sie verfielen erst in eine Starre, schienen den Tönen bedächtig zu lauschen, bevor sie anfingen, sich allmählich im Takt der Musik zu
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