Kryson 05 - Das Buch der Macht
ihr übel.
Plötzlich sah Elischa einen Schatten, der sich von der Plattform über dem Gatter löste und schnell auf sie zubewegte.
»Halt!«, rief Elischa und hob ihren Stab.
Der Schatten blieb abrupt stehen. Der Donnerdornstab zitterte in Elischas Händen und zeigte direkt auf die Brust des Gefäßes, das erschrocken die Arme hob.
»Lasst mich gehen«, sagte das Gefäß, »ich bin frei und brauche keinen Wirt mehr. Ich habe Euch kein Leid zugefügt. Ihr habt also keinen Grund mehr, mich zu jagen.«
»Das sehe ich anders«, antwortete Elischa eisig.
»Alte Geschichten«, jammerte das Gefäß, »längst vergessen.Ich habe nur Befehle ausgeführt, als ich Euch damals entführte und zu Chromlion brachte.«
»Ihr habt viel mehr getan als nur das«, warf ihm Elischa vor, »Ihr seid ein Mörder und Attentäter.«
»Das dürft Ihr nicht sagen, heilige Mutter«, sagte das Gefäß, »Boijakmar trug mir die Morde an der heiligen Mutter und anderen auf. Er war es auch, der mich im Auftrag des dunklen Hirten schickte, des Lesvaraq habhaft zu werden. Dabei fand ich Euch. Ich musste seinem Willen folgen. Ihr müsstet Euch am hohen Vater rächen, wäre er noch am Leben.«
»Das sind Ausflüchte, die Eure Taten nicht entschuldigen«, blieb Elischa eisern.
»Ich will Euch nichts tun«, drohte das Gefäß, »aber Ihr wisst sehr gut, wozu ich imstande bin.«
»Hört auf, die heilige Mutter zu bedrohen«, mischte sich Ayale ein, »wir werden Euch dorthin zurückschicken, woher Ihr einst gekommen seid und wohin Ihr schon längst gehört: in das Reich der Schatten.«
»Das werdet Ihr nicht, alte Frau, oder Ihr geht beide mit mir dorthin«, erwiderte das Gefäß.
Elischas Stab zuckte vor. Blitzschnell ließ sich das Gefäß fallen, duckte sich unter dem Stoß hinweg und stürzte sich auf Ayale. Die alte Ordensschwester öffnete erschrocken den Mund zu einem Schrei, aber sie kam nicht mehr dazu. Ihr Geist verband sich mit dem des Gefäßes.
»Was ist mit dir, Ayale«, rief Elischa erschrocken. »Was hat er dir angetan?«
»Nichts, Kind«, lächelte Ayale kalt, »es ist alles in bester Ordnung.«
Die alte Ordensschwester zog ihren blutigen Holzpflock aus ihrem Gewand und griff Elischa an. Zum Erstaunen der heiligen Mutter bewegte sich Ayale flink und geschickt, einem Bewahrer ähnlich. Ihr hohes Alter war ihr nicht mehr anzumerken.Im Gegenteil, sie wirkte kräftig und schnell wie ein junger Waffenmeister, der sowohl mit als auch ohne Waffen zu kämpfen verstand. Elischa hatte Mühe, den Angriffen Ayales auszuweichen.
»Tu das nicht, Ayale«, rief Elischa.
Die heilige Mutter wich dem Pflock aus, der ihr das Gewand am Arm zerfetzte, ohne sie zu verletzen.
»Stirb!«, antwortete Ayale. »Du bist nicht die erste heilige Mutter, die ich zur Strecke bringe.«
»Das bist nicht du«, schrie Elischa, »kämpfe gegen ihn an! Du bist viel stärker als das Gefäß, Ayale.«
»Mein Name ist Blyss!«, gab sich das Gefäß zu erkennen.
»Ayale«, flehte Elischa, »bitte!«
Der Holzpflock glitt krachend am Donnerdornstab ab. Elischa hatte den Stoß gerade noch rechtzeitig abwehren können.
»Er hat sich den falschen Wirt ausgesucht«, keuchte die heilige Mutter vor Anstrengung, »mach dich endlich frei von ihm.«
Ayale kicherte und sprang zur Antwort mit hoch erhobenem Holzpflock auf die heilige Mutter zu. Die Ordensschwester riss den Arm herunter und stieß zu. Schmerzhaft bohrte sich der Pflock in Elischas Oberschenkel. Ayale riss ihn jedoch sofort wieder heraus, um erneut auf sie einzustechen. Elischa schrie und fiel zu Boden. Ayale hechtete hinter ihr her und warf sich auf sie. Die Fingernägel der alten Frau rissen Elischa die Haut im Gesicht auf. Mit letzter Kraft stieß sie die Ordensschwester von sich und rollte sich zur Seite weg.
Elischa hörte eilige Schritte im Gang, der durch das Verlies zur Grube führte. Sie vernahm die Stimme des hohen Vaters.
»Was ist hier los?«, fragte Yilassa.
»Die Orna. Sie … sie kämpfen gegeneinander«, antwortete ein Bewahrer an der Seite des Overlords verblüfft.
»Bringt sie zur Vernunft«, befahl Yilassa.
Ayale erhob sich und sah den hohen Vater durchdringend an.
» Sie «, dabei zeigte sie mit dem Arm auf die noch immer am Boden liegende heilige Mutter, »hat Eure Kinder im Verlies getötet.«
Yilassas Mundwinkel zogen sich nach unten. In ihren Augen sammelte sich Blut und ihre Lippen bebten vor Zorn.
»Lasst die Orna kämpfen«, rief sie ihre Bewahrer zurück.
Ayale lachte,
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