Kryson 05 - Das Buch der Macht
wollte Renlasol wissen.
»Ein Wächter«, meinte Baijosto, »wahrscheinlich eine Chimäre, die in den Schächten patrouilliert, um Eindringlinge abzuwehren und zu beseitigen.«
»Weder Sapius noch Vargnar haben eine Wächterchimäre erwähnt«, beschwerte sich Renlasol. »Hätten wir davon gewusst, hätten wir Euch nicht auf diesem Weg begleitet.«
»Habt Ihr wirklich geglaubt, die Schächte seien unbewacht?«, fragte Baijosto den Fürsten. »Kommt schon, Ihr durftet doch nicht davon ausgehen, dass wir unbehelligt in die Tiefe steigen können.«
»Das ist wahr«, nickte Renlasol, »leider. Aber ich hatte daraufgehofft, in der Enge des Schachts keinem Feind begegnen zu müssen. Was unternehmen wir nun?«
»Wir tauschen die Plätze«, bestimmte Baijosto, »ich klettere voraus und Ihr folgt mir dichtauf. Was auch immer uns dort unten überraschen möchte – ich werde versuchen, es zu töten. Sollte ich scheitern, setzt Euren Stab ein, Sapius. Schleudert ihm Blitze, Feuer, oder was Eure Magie an Geschossen hergibt, entgegen.«
Baijosto versuchte sich in dem Schacht zu drehen, um kopfüber hinab und einem möglichen Gegner Auge in Auge entgegenzutreten. Auf so engem Raum war das schwieriger, als er es sich vorgestellt hatte. Der Naiki-Jäger musste sich fluchend klein machen, Halt suchen, die Beine anziehen und die Gliedmaßen auf unnatürliche Weise verbiegen, um die Wende zu schaffen. Endlich hing er mit dem Kopf nach unten und glitt, zur Sicherheit dicht an die Schachtwände gedrückt, geschickt an Renlasol und Sapius vorbei.
Der Magier bemerkte, dass Baijosto ein Blasrohr und einen Giftpfeil aus seiner Kleidung hervorgezaubert hatte.
»Das Requas ist stark«, flüsterte der Jäger im Vorbeigleiten, »sollte ich auf eine Wächterchimäre stoßen und sie mit einem Schuss treffen, wäre sie sofort außer Gefecht.«
Sapius schlug das Herz bis zum Hals. Die Enge im Schacht tat ihr Übriges, das Unwohlsein des Magiers von Sardas zu Sardas zu steigern. Sie hatten keine Ausweichmöglichkeiten. Lediglich Rodso könnte sich in einer der zahlreichen kleinen Nischen und Löcher verstecken. Kam ihnen eine Wächterchimäre entgegen, blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich der Gefahr zu stellen und bis zum Tod zu kämpfen. An Flucht war nicht zu denken, weder nach unten noch nach oben. Niemand würde ihr entkommen. Sapius war dankbar und froh, dass sich der Naiki-Jäger sofort bereit erklärt hatte, sich um den unerwünschten Gegner zu kümmern.
Sie mussten nicht lange warten, bis sich der Wächter zeigte. Eine solche Chimäre hatte der Magier nie zuvor gesehen. Sie trug Züge eines Klan, eines Rachuren und einer großen Panzerechse in sich und hatte die Körperlänge eines ausgewachsenen Kriegers, rechnete Sapius den mit Stacheln versehenen Schwanz mit. Der schlanke, lange Körper kam den Schacht herauf und näherte sich den Eindringlingen vorsichtig, aber unaufhaltsam. Mal glitt, mal kroch oder schlängelte sich die Kreatur an den Wänden entlang, mal hielt sie kurz inne, um sich zu orientieren und die Witterung ihrer Feinde aufzunehmen. Sie war schnell und wendig, hielt sich mit ihren Saugnäpfen an den Wänden fest. Ihr Verhalten war zögerlich, als wollte sie auf eine gute Gelegenheit oder einen Moment der Unachtsamkeit warten, die Eindringlinge anzugreifen.
Die Echse zischte und fauchte gefährlich, als sie ihre Gegner erblickte. Es kam Sapius vor, als wollte sie die Streiter mit ihren Drohgebärden zur Umkehr bewegen, statt sich unbedacht auf sie zu stürzen. Oder war sie feige und griff erst an, wenn man ihr den Rücken zugekehrt hatte?
Im Lichtschein des Stabes leuchteten ihre schräg geformten, weit auseinanderliegenden Augen gelb auf. Ihre grüne, vor Feuchtigkeit im Licht schimmernde Lederhaut war mit einem schwarz und rot gestreiften Muster versehen, das Sapius an magische Runenzeichnungen erinnerte. Er hatte allerdings keine Zeit, sich das Muster und die durchaus schönen Zeichnungen genauer anzusehen.
Als die Echse drohend ihr breites Maul öffnete, fuhr Sapius der Schreck durch alle Glieder. Zwei hintereinanderliegende Zahnreihen, die mit zahlreichen eng gewachsenen, scharfen und spitzen gelben Raubtierzähnen ausgestattet waren, lugten ihnen entgegen. Ein Biss dieser Bestie hätte verheerende Folgen. Die Wächterchimäre war ohne jeden Zweifel tödlich. Ein Mordwerkzeug, wie für die Schächte geschaffen. Baijostohatte Sapius’ ganze Bewunderung. Der Jäger stellte sich der Bestie kopfüber
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