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Kuche Totalitar - Wladimir Kaminer

Titel: Kuche Totalitar - Wladimir Kaminer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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Freunden seinen zwanzigsten Geburtstag, an einem anderen tranken zwei Schnurrbärte Wodka, rauchten dabei und schwiegen. Eine festlich gekleidete Sängerin kam auf die Bühne und erkundigte sich nach den Namen der beiden anwesenden Geburtstagskinder. Dann tippte sie irgendetwas in ihren MusikComputer, und der Raum füllte sich mit Musik. Das junge Geburtstagskind wurde mit einem russischen Schlager geehrt, der den Refrain hatte: »Ohne dich, Micha, sterbe ich, Micha, jede Nacht, Micha, träume ich von dir, Micha…«
    Mein Vater wollte auch namentlich besungen werden, bekam stattdessen aber nur einen georgischen Rentnerheuler vom MusikComputer geschenkt: »Mein Alter hat mich reich gemacht, und wenn ich bald schon gehen muss…«
    »Ich fühle mich aber noch ganz gut!«, rief mein Vater von seinem Stuhl aus, aber der Computer war vorprogrammiert, selbst die Sängerin konnte nichts machen. Sie ging von der Bühne, noch bevor der Rentnerheuler zu Ende war. Das Lied sang sich von alleine weiter.
Kaum hatten wir bestellt und unsere Gläser gefüllt, kam die Sängerin zurück.
     
»Hört alle auf zu essen!«, kam ihre Stimme aus den Lautsprechern. »Steht alle auf! Jetzt wird getanzt!«
    Ihr Computer spuckte Russentechno aus, so laut, dass man sich nicht mehr unterhalten konnte. Aber niemand wollte ihrer Aufforderung folgen, alle warteten geduldig, bis der Spuk vorbei war. Die Sängerin tanzte eine Weile allein und verschwand wieder in der Küche.
    Mein Vater inspizierte kritisch seinen Teller, das junge Geburtstagskind Micha am Nebentisch sprach plötzlich Hochdeutsch mit einer Blondine, die Schnurrbärte gingen nacheinander aufs Klo und betranken sich anschließend weiter. Dann wurde es plötzlich still im Raum. Der Musik-Computer war kaputt, er gab nur noch merkwürdige Piep-Töne von sich, und die Sängerin kam, um ihn zu reparieren. Sie schlug mit der flachen Hand gegen den Kasten, der wollte aber nicht anspringen.
»Lasst uns zusammen singen!«, rief sie ins Mikrofon. »Seid ihr Russen oder was?«
    Alle saßen still an ihren Tischen. Irgendwas stimmte nicht mit unserer Zeitreise. Mein Vater stocherte mit der Gabel auf seinem Teller herum, hob ein Stück Fleisch hoch und betrachtete es im Licht der Kerze. »Also, früher, mein Sohn«, fing er nachdenklich an, »war alles besser…«
»Brauchst du mir nicht zu erzählen«, unterbrach ich ihn. »Lass uns lieber noch einen trinken!«
    Nachts stand ich auf dem Kudamm mit dem alten Geburtstagskind am Arm. Es hatte seine Krawatte in der Hand und winkte damit den vorbeifahrenden Autos. Das junge Geburtstagskind Micha stand neben uns mit einer abgebrochenen Zigarette im Mund.
    »Ich hole euch jetzt ein Taxi«, sagte er, sprang auf die Fahrbahn und hielt beide Hände hoch. Man hörte Bremsen kreischen und Fahrer fluchen, mehrere Wagen blieben stehen, und einer davon war tatsächlich ein Taxi. Mein Vater wünschte Micha viel Glück und nannte ihn dabei »Kolja«. Am nächsten Morgen ging es ihm nicht gut, er verbrachte den Tag im Bett.
Die Zaubertür, die letzte geheime Verbindung zur Vergangenheit, hatte sich eindeutig geschlossen. Wenig später beschlossen meine Frau und ich, unsere Erfahrungen mit der sowjetischen Küche niederzuschreiben, damit die kommenden Generationen genug Stoff zum Experimentieren haben.

ARMENIEN
    Armenien ist ein Land von der Größe Niedersachsens, dafür aber von großer Schönheit. Das armenische Volk ist berühmt für seine überschäumende Gastfreundschaft, seine dreitausend Jahre alte Kultur und seine traditionsreiche Küche. Nicht umsonst stieg Noah nach der Flut auf dem Berg Ararat aus der Arche und erkor so Armenien zur Wiege der Menschheit. Trotz dieser Qualitäten oder gerade deswegen wurde das Land seit Anbeginn der Zeit von Eroberern aller Couleur überfallen. Römer und Perser, Türken und Araber überzogen Armenien mit Gewalt, vertrieben und terrorisierten die Bevölkerung. Heute leben in Amerika und Westeuropa mehr Armenier als in Armenien selbst. Die vielen dunklen Tage konnten dem armenischen Volk jedoch seine Lebensfreude nicht austreiben. Die armenische Gastfreundschaft gegenüber Fremden hat keinen Schaden erlitten, jeder ist in Armenien herzlich willkommen, abgesehen von den Bürgern der unmittelbaren Nachbarländer.
    Im zwanzigsten Jahrhundert wurde Armenien mehrmals unabhängig. Nach der Niederlage der deutschen Armee im Ersten Weltkrieg 1918 zogen sich die Türken aus dem Kaukasus zurück, der Bürgerkrieg brach aus, die

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